Seite - 50 - in Radetzkymarsch
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mit Wohlbehagen den linken Handschuh langsam über, dazu hat er plötzlich
mehr Zeit, und wie er »Na, auf Wiedersehn, Herr Slama!« sagt, vernimmt er
selbst mit Befriedigung einen fremden, hochmütigen Klang in seiner Stimme.
Slama steht da, mit gesenkten Augen und mit ratlosen Händen, die auf einmal
leer geworden sind, als hätten sie bis zu diesem Augenblick etwas gehalten
und soeben fallen gelassen und für immer verloren. Sie reichen einander die
Hände. Hat Slama noch etwas zu sagen? – Egal! – »Vielleicht ein anderes
Mal wieder, Herr Leutnant!« sagt er dennoch. Ja, er wird es wohl nicht
ernstlich glauben, Carl Joseph hat das Angesicht Slamas schon vergessen. Er
sieht nur die goldgelben Kanten am Kragen und die drei goldenen Zacken am
schwarzen Ärmel der Gendarmeriebluse. »Leben Sie wohl, Wachtmeister!«
Es regnet noch immer milde, unermüdlich, mit einzelnen föhnigen
Windstößen. Es ist, als hätte es schon längst Abend sein müssen, und es
könnte immer noch nicht Abend werden. Ewig dieses schraffierte, nasse
Grau. Zum erstenmal, seitdem er Uniform trägt, ja, zum erstenmal, seitdem er
denken kann, hat Carl Joseph das Gefühl, daß man den Kragen des Mantels
hochschlagen müßte. Und er hebt sogar für einen Augenblick die Hände und
erinnert sich, daß er Uniform trägt, und läßt sie wieder fallen. Es ist, als hätte
er eine Sekunde lang seinen Beruf vergessen. Er geht langsam und klirrend
über den nassen, knirschenden Kies des Vorgartens und freut sich seiner
Langsamkeit. Er hat’s nicht nötig, sich zu beeilen; nichts ist gewesen, ein
Traum war alles. Wie spät mag es sein? Die Taschenuhr ist zu tief geborgen
unter der Bluse in der kleinen Hosentasche. Schade, den Mantel
aufzuknöpfen. Bald wird es ohnehin vom Turm schlagen.
Er öffnet das Gartengitter, er tritt auf die Straße. »Herr Baron!« sagt
plötzlich hinter ihm der Wachtmeister. Rätselhaft, wie unhörbar er gefolgt ist.
Ja, Carl Joseph erschrickt. Er bleibt stehn, kann sich aber nicht entschließen,
sich sogleich umzuwenden. Vielleicht ruht der Lauf einer Pistole genau in der
Mulde, zwischen den vorschriftsmäßigen Rückenfalten des Mantels.
Grauenhafter und kindischer Einfall! Fängt alles aufs neue an? »Ja!« sagt er,
immer noch mit hochmütiger Lässigkeit, die wie eine mühselige Fortsetzung
seines Abschieds ist und ihn sehr anstrengt – und macht kehrt. Ohne Mantel
und barhäuptig steht der Wachtmeister im Regen, mit dem nassen,
zweiflügeligen Bürstchen und dicken Wasserperlen an der blonden, glatten
Stirn. Er hält ein blaues Päckchen, kreuzweis mit silbernem Bindfaden
verschnürt. »Das ist für Sie, Herr Baron!« sagt er, die Augen
niedergeschlagen. »Bitte um Entschuldigung! Der Herr Bezirkshauptmann
hat’s angeordnet. Ich hab’s damals gleich hingebracht. Der Herr
Bezirkshauptmann hat’s schnell überflogen und gesagt, ich soll’s persönlich
übergeben!«
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik