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fern zu hängen, weiter war es als die Wand. Carl Joseph erinnerte sich, daß
ihm dieses Bildnis in den ersten Tagen, da er eingerückt war, einen gewissen
stolzen Trost bedeutet hatte. Damals war es jeden Augenblick so gewesen, als
könnte der Kaiser aus dem schmalen, schwarzen Rahmen treten. Allmählich
aber bekam der Allerhöchste Kriegsherr das gleichgültige, gewohnte und
unbeachtete Angesicht, das seine Briefmarken und seine Münzen zeigten.
Sein Bild hing an der Wand des Kasinos, eine merkwürdige Art von einem
Opfer, das ein Gott sich selber darbringt… seine Augen – früher einmal
hatten sie an sommerliche Ferienhimmel erinnert bestanden nunmehr aus
einem harten, blauen Porzellan. Und es war immer noch der gleiche Kaiser!
Daheim, im Arbeitszimmer des Bezirkshauptmanns hing dieses Bild
ebenfalls. Es hing in der großen Aula der Kadettenschule. Es hing in der
Kanzlei des Obersten in der Kaserne. Und hunderttausendmal verstreut im
ganzen weiten Reich war der Kaiser Franz Joseph, allgegenwärtig unter
seinen Untertanen wie Gott in der Welt. Ihm hatte der Held von Solferino das
Leben gerettet. Der Held von Solferino war alt geworden und gestorben. Jetzt
fraßen ihn die Würmer. Und sein Sohn, der Bezirkshauptmann, der Vater Carl
Josephs, wurde auch schon ein alter Mann. Bald werden auch ihn die Würmer
fressen. Nur der Kaiser, der Kaiser schien eines Tages, innerhalb einer ganz
bestimmten Stunde alt geworden zu sein; und seit jener Stunde in seiner
eisigen und ewigen, silbernen und schrecklichen Greisenhaftigkeit
eingeschlossen zu bleiben, wie in einem Panzer aus ehrfurchtgebietendem
Kristall. Die Jahre wagten sich nicht an ihn heran. Immer blauer und immer
härter wurde sein Auge. Seine Gnade selbst, die über der Familie der Trottas
ruhte, war eine Last aus scheidendem Eis. Und Carl Joseph fror es unter dem
blauen Blick seines Kaisers. Daheim, er erinnerte sich, wenn er zu den Ferien
heimgekehrt war und am Sonntag, vor dem Mittagessen, der Kapellmeister
Nechwal seine Militärkapelle im vorgeschriebenen Rund aufgestellt hatte,
war man bereit gewesen, für diesen Kaiser in einem wonnigen, warmen und
süßen Tod dahinzusterben. Lebendig war das Vermächtnis des Großvaters
gewesen, dem Kaiser das Leben zu retten. Und ohne Unterbrechung rettete
man, wenn man ein Trotta war, dem Kaiser das Leben. Nun war man kaum
vier Monate im Regiment. Auf einmal war es, als bedurfte der Kaiser,
unnahbar geborgen in seinem kristallenen Panzer, keiner Trottas mehr. Man
hatte zu lange Frieden. Der Tod lag weit vor einem jungen Leutnant der
Kavallerie, wie die letzte Stufe des vorschriftsmäßigen Avancements. Man
wird einmal Oberst werden und hierauf sterben. Indessen ging man jeden
Abend ins Kasino, man sah das Bild des Kaisers. Je länger der Leutnant
Trotta es betrachtete, desto ferner wurde ihm der Kaiser.
»Da schau her!« flötete die Stimme Leutnant Kindermanns. »Der Trotta hat
sich in den Alten verschaut!«
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik