Seite - 66 - in Radetzkymarsch
Bild der Seite - 66 -
Text der Seite - 66 -
schwärzlich spiegelnden Flügel, und an seinen hämmernden Händen
schepperten die harten Manschetten, wie heisere Tschinellen begleiteten sie
die blechernen Klänge.
Zu Tante Resi! Man ging zu Tante Resi. Der Oberst machte unten kehrt, er
sagte: »Viel Vergnügen, meine Herren!«, und auf der stillen Straße riefen
zwanzig Stimmen: »Respekt, Herr Oberst!«, und vierzig Sporen klirrten
aneinander. Der Regimentsarzt Doktor Max Demant machte einen
schüchternen Versuch, sich ebenfalls zu empfehlen. »Müssen Sie mit?« fragte
er den Leutnant Trotta leise. »Es wird wohl so sein!« flüsterte Carl Joseph.
Und der Regimentsarzt ging wortlos mit. Sie waren die letzten in der
unordentlichen Reihe der Offiziere, die mit Gerassel durch die stillen,
mondbelichteten Straßen der kleinen Stadt gingen. Sie sprachen nicht
miteinander. Beide fühlten, daß sie die geflüsterte Frage und die geflüsterte
Antwort verband, da war nichts mehr zu machen. Sie waren beide vom
ganzen Regiment geschieden. Und sie kannten sich kaum eine halbe Stunde.
Plötzlich, er wußte nicht, warum, sagte Carl Joseph: »Ich hab’ eine Frau
namens Kathi geliebt. Sie ist gestorben!«
Der Regimentsarzt blieb stehen und wandte sich ganz dem Leutnant zu.
»Sie werden noch andere Frauen lieben!« sagte er.
Und sie gingen weiter.
Man hörte vom fernen Bahnhof her späte Züge pfeifen, und der
Regimentsarzt sagte:
»Ich möchte wegfahren, weit wegfahren!«
Nun standen sie vor Tante Resis blauer Laterne. Rittmeister Taittinger
klopfte an das verschlossene Tor. Jemand öffnete. Drinnen begann das Klavier
sofort zu klimpern: den Radetzkymarsch. Die Offiziere marschierten in den
Salon. »Einzeln abfallen!« kommandierte Taittinger. Die nackten Mädchen
schwirrten ihnen entgegen, eine emsige Schar von weißen Hennen. »Gott mit
euch!« sagte Prohaska. Trautmannsdorff griff diesmal sofort und noch im
Stehen in den Busen der Frau Horwath. Er ließ sie vorläufig nicht mehr los.
Sie hatte Küche und Keller zu überwachen, sie litt sichtlich unter den
Liebkosungen des Oberleutnants, aber die Gastfreundschaft verpflichtete sie
zu Opfern. Sie ließ sich verführen. Leutnant Kindermann wurde bleich. Er
war weißer als der Puder auf den Schultern der Mädchen. Der Major Prohaska
bestellte Sodawasser. Wer ihn näher kannte, wußte vorauszusagen, daß er
heute sehr besoffen sein würde. Er bahnte nur dem Alkohol einen Weg mit
Wasser, wie man Straßen reinigt vor dem Empfang. »Der Doktor ist
mitgekommen?« fragte er laut. »Er muß die Krankheiten an der Quelle
studieren!« sagte mit wissenschaftlichem Ernst, bleich und hager wie immer,
66
zurück zum
Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik