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kommandiert ein ganzes Regiment. Die Töpfe sind Züge, die Teetassen
Mannschaften, die Teller Kompanien. Simon Demant ist ein Oberst, ein
Oberst im Dienste Franz Josephs des Ersten. Die Mutter, mit Spitzenhaube
und vielgefälteltem Nachtunterrock und flatterndem Jäckchen, steigt aus dem
Bett, um den Mann zu beruhigen.
Eines Tages, einen Tag nach Kaisers Geburtstag, trifft den Vater im Bett der
Schlag. Er hatte einen freundlichen Tod gehabt und ein glänzendes
Leichenbegängnis. Alle Briefträger gingen hinter dem Sarg. Und im getreuen
Gedächtnis der Witwe blieb der Tote haften, das Muster eines Ehemannes,
gestorben im Dienste des Kaisers und der kaiser-königlichen Post. Die
Uniformen, die des Unteroffiziers, die des Postoffizianten Demant, hingen
noch nebeneinander im Schrank, von der Witwe mittels Kampfer, Bürste und
Sidol in stetem Glanz erhalten. Sie sahen aus wie Mumien, und sooft der
Schrank geöffnet wurde, glaubte der Sohn, zwei Leichen seines seligen Vaters
nebeneinander zu sehn.
Man wollte um jeden Preis Arzt werden. Man erteilte Unterricht für
kümmerliche sechs Kronen im Monat. Man hatte zerrissene Stiefel. Man
hinterließ, wenn es regnete, auf den guten, gewichsten Fußböden der
Wohlhabenden nasse und übergroße Spuren. Man hatte größere Füße, wenn
die Sohlen zerrissen waren. Und man machte schließlich die Reifeprüfung.
Und man wurde Mediziner. Die Armut stand immer noch vor der Zukunft,
eine schwarze Wand, an der man zerschellte. Man sank der Armee geradezu
in die Arme. Sieben Jahre Essen, sieben Jahre Trinken, sieben Jahre
Kleidung, sieben Jahre Obdach, sieben, sieben lange Jahre! Man wurde
Militärarzt. Und man blieb es.
Das Leben schien schneller dahinzulaufen als die Gedanken. Und ehe man
einen Entschluß gefaßt hatte, war man ein alter Mann.
Und man hatte Fräulein Eva Knopfmacher geheiratet.
Hier unterbrach der Regimentsarzt Doktor Demant noch einmal den Zug
seiner Erinnerungen. Er begab sich nach Hause.
Der Abend war schon angebrochen, eine ungewohnt festliche Beleuchtung
strömte aus allen Zimmern. »Der alte Herr ist gekommen«, meldete der
Bursche. Der alte Herr: Es war sein Schwiegervater, Herr Knopfmacher.
Er trat in diesem Augenblick aus dem Badezimmer, im langen, geblümten,
flaumigen Schlafrock, ein Rasiermesser in der Hand, mit freundlich geröteten,
frisch rasierten und duftenden Backen, die breit auseinanderstanden. Sein
Angesicht schien in zwei Hälften zu zerfallen. Es wurde lediglich durch den
grauen Spitzbart zusammengehalten. »Mein lieber Max!« sagte Herr
Knopfmacher, indem er das Rasiermesser sorgfältig auf ein Tischchen legte,
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik