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zu finden. Eine Nacht vor seinem Duell saß er wahrscheinlich bei Resi und
trank auf seine eigene Gesundheit. Unmöglich aber zu erraten, wo Demant
sich aufhielt. Vielleicht ging der Regimentsarzt durch die Gassen der Stadt.
Vielleicht spazierte er zwischen den vertrauten Gräbern und suchte sich schon
sein eigenes. »Zum Friedhof!« befahl der Leutnant dem erschrockenen
Kutscher. Nicht weit von hier lagen die Friedhöfe beieinander. Der Schlitten
hielt vor der alten Mauer und dem verschlossenen Gitter. Trotta stieg ab. Er
trat an das Gitter. Dem irrsinnigen Einfall folgend, der ihn hierhergetrieben
hatte, hielt er die gehöhlten Hände vor den Mund und rief gegen die Gräber
hin mit einer fremden Stimme, die wie ein Heulen aus seinem Herzen kam,
den Namen Doktor Demants; und glaubte selbst, während er schrie, daß er
schon den Toten riefe und nicht mehr den Lebendigen; und erschrak und fing
an zu zittern wie einer der nackten Sträucher zwischen den Gräbern, über die
jetzt der winterliche Nachtsturm pfiff; und der Säbel schepperte an der Hüfte
des Leutnants.
Den Kutscher auf dem Bock des Schlittens grauste es vor seinem Fahrgast.
Er dachte, einfältig, wie er war, der Offizier sei ein Gespenst oder ein
Wahnsinniger. Er fürchtete aber auch, das Pferd anzutreiben und
davonzufahren. Seine Zähne klapperten, sein Herz raste mächtig gegen den
dicken Katzenpelz. »Steigen Sie doch ein, Herr Offizier!« bat er.
Der Leutnant folgte. »Zur Stadt zurück!« sagte er. In der Stadt stieg er ab
und trabte gewissenhaft durch die gewundenen Gäßchen und über die
winzigen Plätze. Die blechernen Melodien eines Musikautomaten, der
irgendwoher durch die nächtliche Stille zu schmettern begann, gaben ihm ein
vorläufiges Ziel; er eilte dem metallenen Gerassel entgegen. Es drang durch
die matt belichtete Glastür einer Kneipe in der Nähe des Unternehmens der
Frau Resi, einer Kneipe, die häufig von den Mannschaften aufgesucht wurde
und von Offizieren nicht betreten werden durfte. Der Leutnant trat an das
hellerleuchtete Fenster und schaute über den rötlichen Vorhang ins Innere der
Schenke. Er sah die Theke und den hageren Wirt in Hemdsärmeln. An einem
Tisch spielten drei Männer, ebenfalls in Hemdsärmeln, Karten, an einem
andern saß ein Korporal, ein Mädchen neben sich, Biergläser standen vor den
beiden. In der Ecke saß ein Mann allein, einen Bleistift hielt er in der Hand,
über ein Blatt Papier beugte er sich, schrieb etwas, unterbrach sich, nippte an
einem Schnaps und sah in die Luft. Auf einmal richtete er seine Brillengläser
gegen das Fenster. Carl Joseph erkannte ihn: Es war Doktor Demant in Zivil.
Carl Joseph klopfte an die Glastür, der Wirt kam; der Leutnant bat ihn, den
einsamen Herrn herauszuschicken. Der Regimentsarzt trat auf die Straße. »Ich
bin’s, Trotta!« sagte der Leutnant und streckte die Hand aus. »Du hast mich
gefunden!« sagte der Doktor. Er sprach leise, wie gewöhnlich, aber viel
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik