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deutlicher als sonst, so schien es dem Leutnant; denn auf eine rätselhafte
Weise übertönten seine stillen Worte den rasselnden Musikautomaten. Zum
erstenmal stand er vorTrotta in Zivil. Die vertraute Stimme kam aus der
veränderten Erscheinung des Doktors dem Leutnant entgegen wie ein guter,
heimatlicher Gruß. Ja, die Stimme klang um so vertrauter, je fremder Demant
erschien. Alle Schrecken, die den Leutnant in dieser Nacht verwirrten,
zerstoben nun vor der Stimme des Freundes, die Carl Joseph seit langen
Wochen nicht mehr gehört und die er entbehrt hatte. Ja, entbehrt hatte er sie;
er wußte es jetzt. Der Musikautomat hörte auf zu schmettern. Man hörte den
Nachtwind von Zeit zu Zeit aufheulen und spürte den Schneestaub, den er
aufwirbelte, im Gesicht. Der Leutnant trat noch einen Schritt näher an den
Doktor. (Man konnte ihm gar nicht nahe genug kommen.) Du sollst nicht
sterben! wollte er sagen. Es schoß ihm durch den Sinn, daß Demant ohne
Mantel vor ihm stand, im Schnee, im Wind. Wenn man in Zivil ist, sieht
man’s nicht sofort, dachte er auch. Und mit einer zärtlichen Stimme sagte er:
»Du wirst dich noch erkälten!«
Im Angesicht Doktor Demants leuchtete sofort das alte, wohlbekannte
Lächeln auf, das die Lippen ein wenig schürzte, den schwarzen Schnurrbart
ein bißchen hob. Carl Joseph errötete. Er kann sich ja gar nicht mehr erkälten,
dachte der Leutnant. Gleichzeitig hörte er die sanfter Stimme Doktor
Demants: »Ich hab’ keine Zeit mehr, krank zu werden, mein lieber Freund.«
Er konnte sprechen, während er lächelte. Mitten durch das alte Lächeln
gingen die Worte des Doktors, und es blieb dennoch ganz; ein kleines,
trauriges, weißes Schleierchen, hing es vor seinen Lippen. »Wir wollen aber
hinein!« sagte der Doktor weiter. Er stand, ein schwarzer, unbeweglicher
Schatten, vor der matt belichteten Tür und warf einen zweiten, blasseren, auf
die beschneite Straße. Auf seinen schwarzen Haaren lag der silberne
Schneestaub, belichtet von dem matten Schein, der aus der Kneipe drang.
Über seinem Haupt war bereits gleichsam der Schimmer der himmlischen
Welt, und Trotta war beinahe bereit, wieder umzukehren. Gute Nacht! wollte
er sagen und ganz schnell davongehn.
»Wir wollen doch hineingehn!« sagte der Doktor wieder. »Ich werde
fragen, ob du unbemerkt hinein kannst!« Er ging und ließ Trotta draußen.
Dann kam er mit dem Wirt zurück. Sie durchschritten einen Flur und einen
Hof und gelangten in die Küche der Wirtsstube. »Du bist hier bekannt?«
fragte Trotta. »Ich komme manchmal hierher«, erwiderte der Doktor, »das
heißt: Ich pflegte oft hierher zu kommen!« Carl Joseph sah den Doktor an.
»Du wunderst dich? Ich hatte so meine besonderen Gewohnheiten«, sagte der
Regimentsarzt. – Warum sagt er: hatte? – dachte der Leutnant; und erinnerte
sich aus der Deutschstunde, daß man so was »Mitvergangenheit« nannte.
Hatte! Warum sagte der Regimentsarzt: hatte?
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik