Seite - 94 - in Radetzkymarsch
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Hauses, den aschgrauen Wochentagen, den gähnenden Sonntagen, den
qualvollen Reitstunden, den blöden Manövern und seiner eigenen Betrübnis
über all diese Schalheit. Durch das Schluchzen und Stöhnen des Leutnants
brach gewaltig der schmetternde Ruf dieser lebendigen Erde, und während
der Doktor nach einem Wort suchte, um Trotta zu beruhigen, ĂĽberschwemmte
das Mitleid sein Herz, flackerte die Liebe in ihm mit tausend Feuerzungen
auf. Weit hinter ihm lag schon die GleichgĂĽltigkeit, in der er die letzten Tage
zugebracht hatte.
Da erklangen drei harte Schläge der Wanduhr. Trotta war auf einmal still.
Man hörte das Echo der drei Glocken, es ertrank langsam im Summen der
Gaslampe. Der Leutnant begann mit einer ruhigen Stimme: »Du sollst wissen,
wie dumm diese ganze Geschichte ist! Der Taittinger langweilt mich wie uns
alle. Ich sag’ ihm also, daß ich ein Rendezvous hab’, an jenem Abend vor
dem Theater. Dann kommt deine Frau allein. Ich muĂź sie begleiten. Und grad
wie wir am Kasino vorbeigehn, treten sie alle auf die Straße.«
Der Doktor nahm die Hände von den Schultern Trottas und begann wieder
seine Wanderung. Er ging beinahe lautlos, mit sanften und horchenden
Schritten.
»Ich muß dir noch sagen«, fuhr der Leutnant fort, »daß ich sofort geahnt
hab’, es wird was Schlimmes passieren. Ich hab’ auch kaum noch ein nettes
Wort zu deiner Frau sagen können. Und wie ich dann vor eurem Garten
gestanden bin, vor deiner Villa, hat die Laterne gebrannt; ich erinnere mich,
da hab’ ich im Schnee auf dem Weg vom Gartentor zur Haustür deutlich die
Spuren deiner Schritte sehn können, und da hab’ ich eine merkwürdige Idee
gehabt, eine verrückte Idee … «
»Ja?« sagte der Doktor und blieb stehen.
»Eine komische Idee: Ich hab’ einen Moment gedacht, deine Spuren sind
so was wie Wächter, ich kann’s nicht ausdrücken, ich hab’ halt gedacht, sie
schaun aus dem Schnee herauf zu deiner Frau und mir.«
Doktor Demant setzte sich wieder, sah Trotta genau an und sagte langsam:
»Vielleicht liebst du meine Frau und weißt es nur selber nicht?«
»Ich hab’ keine Schuld an der ganzen Sache!« sagte Trotta.
»Nein, du hast keine Schuld!« bestätigte der Regimentsarzt.
»Aber immer ist es so, als hätt’ ich Schuld!« sagte Carl Joseph. »Du weißt,
ich hab’ dir erzählt, wie das mit der Frau Slama gewesen ist!« Er blieb still.
Dann flüsterte er: »Ich hab’ Angst, ich hab’ Angst, überall!« Der
Regimentsarzt breitete die Arme aus, hob die Schultern und sagte: »Du bist
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Ă–sterreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik