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Radetzkymarsch
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dem Grafen Tattenbach und diesen selbst. Er wartete. Bis zum letzten Augenblick wartete er auf den Nebel. Aber alles blieb deutlich, als ob der Regimentsarzt nie kurzsichtig gewesen wäre. Eine Stimme zählte: »Eins!« Der Regimentsarzt hob die Pistole. Er fühlte sich wieder frei und mutig, ja übermütig, zum erstenmal in seinem Leben übermütig. Er zielte wie einst als Einjährig-Freiwilliger beim Scheibenschießen (obwohl er damals schon ein miserabler Schütze gewesen war). Ich bin ja nicht kurzsichtig, dachte er, ich werde die Brille nie mehr brauchen. Vom medizinischen Standpunkt war es kaum erklärlich. Der Regimentsarzt beschloß, sich in der Ophthalmologie umzusehen. In dem Augenblick, in dem ihm der Name eines bestimmten Facharztes einfiel, zählte die Stimme: »Zwei.« Der Doktor sah immer noch klar. Ein zager Vogel unbekannter Art begann zu zwitschern, und von ferne hörte man das Blasen der Trompeten. Um diese Zeit erreichte das Ulanenregiment den Exerzierplatz. In der zweiten Eskadron ritt Leutnant Trotta wie alle Tage. Der matte Hauch des Frostes perlte über den Scheiden der schweren Säbel und über den Läufen der leichten Karabiner. Die gefrorenen Trompeten weckten das schlafende Städtchen. Die Kutscher in ihren dicken Pelzen, am gewohnten Standplatz, hoben die bärtigen Häupter. Als das Regiment die Wasserwiese erreichte und absaß und die Mannschaften sich wie gewöhnlich zu den allmorgendlichen Gelenksübungen in Doppelreihen aufstellten, trat der Leutnant Kindermann zu Carl Joseph und sagte: »Bist du krank? Weißt du, wie du ausschaust?« Er zog seinen koketten Taschenspiegel und hielt ihn vor Trottas Augen. In dem kleinen, schimmernden Rechteck erblickte Leutnant Trotta ein uraltes Angesicht, das er sehr genau kannte: glühende, schmale, schwarze Augen, den scharfen, knöchernen Rücken einer großen Nase, aschgraue, eingefallene Wangen und einen schmalen, langen, festgeschlossenen und blutleeren Mund, der wie ein längst vernarbter Säbelhieb das Kinn vom Schnurrbart schied. Nur dieser kleine, braune Schnurrbart erschien Carl Joseph fremd. Daheim, unter dem Suffit des väterlichen Herrenzimmers, war das verdämmernde Angesicht des Großvaters ganz nackt gewesen. »Danke!« sagte der Leutnant. »Ich hab’ diese Nacht nicht geschlafen.« Er verließ den Exerzierplatz. Er ging zwischen den Stämmen links ab, wo ein Pfad zur breiten Landstraße abzweigte. Es war sieben Uhr vierzig. Man hatte keine Schüsse gehört. Alles ist gut, alles ist gut, sagte er sich, es ist ein Wunder geschehn! In spätestens zehn Minuten muß der Major Prohaska dahergeritten kommen, dann wird man alles wissen. Man hörte die zögernden Geräusche der erwachenden kleinen Stadt und das langgedehnte Heulen einer Lokomotive 98
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Radetzkymarsch
Titel
Radetzkymarsch
Autor
Joseph Roth
Datum
1932
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
294
Schlagwörter
Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
Kategorien
Weiteres Belletristik

Inhaltsverzeichnis

  1. Teil 1 3
    1. Kapitel 1 5
    2. Kapitel 2 20
    3. Kapitel 3 31
    4. Kapitel 4 45
    5. Kapitel 5 53
    6. Kapitel 6 69
    7. Kapitel 7 81
    8. Kapitel 8 100
  2. Teil 2 111
    1. Kapitel 1 112
    2. Kapitel 2 122
    3. Kapitel 3 136
    4. Kapitel 4 153
    5. Kapitel 5 167
    6. Kapitel 6 178
    7. Kapitel 7 191
  3. Teil 3 202
    1. Kapitel 1 203
    2. Kapitel 2 219
    3. Kapitel 3 236
    4. Kapitel 4 251
    5. Kapitel 5 272
    6. Kapitel 6 281
  4. Epilog 288
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