Seite - 105 - in Radetzkymarsch
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hörte den leisen Atem der Frau. »Wir stehn hier so herum«, sagte sie endlich.
»Setzen wir uns!« Sie setzten sich einander gegenüber an den Tisch. Wie einst
beim Wachtmeister Slama saß Carl Joseph, die Tür im Rücken. Bedrohlich,
wie damals, fühlte er die Tür. Ohne Sinn schien sie von Zeit zu Zeit lautlos
aufzugehn und sich lautlos zu schließen. Tiefer färbte sich die Dämmerung. In
ihr verrann das schwarze Kleid der Frau Eva Demant. Nun war sie von der
Dämmerung selbst bekleidet. Ihr weißes Angesicht schwebte nackt, entblößt
auf der dunklen Oberfläche des Abends. Verschwunden war das Bildnis des
toten Mannes an der Wand gegenüber. »Mein Mann«, sagte die Stimme der
Frau Demant durch die Dunkelheit. Der Leutnant konnte ihre Zähne
schimmern sehn; sie waren weißer als das Angesicht. Allmählich unterschied
er auch wieder den blanken Glanz ihrer Augen. »Sie waren sein einziger
Freund! Er hat es oft gesagt! Wie oft hat er von Ihnen gesprochen! Wenn Sie
wüßten! Ich kann nicht begreifen, daß er tot ist. Und« – sie flüsterte: »daß ich
schuld daran bin!«
»Ich bin schuld daran!« sagte der Leutnant. Seine Stimme war sehr laut,
hart und seinen eigenen Ohren fremd. Es war kein Trost für die Witwe
Demant. »Ich bin schuldig!« wiederholte er. »Ich hätte Sie vorsichtiger nach
Hause führen müssen. Nicht am Kasino vorbei.«
Die Frau begann zu schluchzen. Man sah das blasse Angesicht, das sich
immer tiefer über den Tisch beugte, wie eine große, weiße, ovale, langsam
niedersinkende Blume. Plötzlich tauchten rechts und links die weißen Hände
auf, nahmen das niedersinkende Antlitz in Empfang und betteten es. Und nun
war nichts mehr hörbar eine Zeitlang, eine Minute, noch eine, als das
Schluchzen der Frau. Eine Ewigkeit für den Leutnant. Aufstehn und sie
weinen lassen und fortgehn, dachte er. Er erhob sich wirklich. Im Nu fielen
ihre Hände auf den Tisch. Mit einer ruhigen Stimme, die gleichsam aus einer
anderen Kehle kam als das Weinen, fragte sie: »Wohin wollen Sie denn?«
»Licht machen!« sagte Trotta.
Sie erhob sich, ging um den Tisch an ihm vorbei und streifte ihn. Er roch
eine zarte Welle Parfüm, vorbei war sie und schon verweht. Das Licht war
hart; Trotta zwang sich, geradeaus in die Lampen zu sehen. Frau Demant hielt
eine Hand vor die Augen. »Zünden Sie das Licht über der Konsole an«,
befahl sie. Der Leutnant gehorchte. Sie wartete an der Türleiste, die Hand
über den Augen. Als die kleine Lampe unter dem sanften, goldgelben Schirm
brannte, löschte sie das Deckenlicht aus. Sie nahm die Hand von den Augen,
wie man ein Visier abnimmt. Sie sah sehr kühn aus, im schwarzen Kleid, mit
dem blassen Angesicht, das sie Trotta entgegenreckte. Zornig und tapfer war
sie. Man sah auf ihren Wangen die winzigen, getrockneten Rinnsale der
Tränen. Die Augen waren blank wie immer.
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik