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Radetzkymarsch
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Brodnitzer. Er sah den Giebel des Bezirksgerichts, das weiße Türmchen der Bezirkshauptmannschaft, die schwarzgelbe Fahne über der Kaserne, das doppelte Kreuz der griechischen Kirche, den Wetterhahn über dem Magistrat und alle dunkelgrauen Schindeldächer der kleinen Parterrehäuser. Das Hotel Brodnitzer war das höchste Haus im Ort. Es gab eine Richtung an wie die Kirche, der Magistrat und die öffentlichen Gebäude überhaupt. Die Gassen hatten keine Namen und die Häuschen keine Nummern, und wer hierorts nach einem bestimmten Ziel fragte, richtete sich nach dem Ungefähr, das man ihm bezeichnet hatte. Der wohnte hinter der Kirche, jener gegenüber dem städtischen Gefängnis, der dritte rechter Hand vom Bezirksgericht. Man lebte wie im Dorf. Und die Geheimnisse der Menschen in den niederen Häusern, unter den dunkelgrauen Schindeldächern, hinter den kleinen, quadratischen Fensterscheiben und den hölzernen Türen quollen durch Ritzen und Sparren in die kotigen Gassen und selbst in den ewig geschlossenen, großen Hof der Kaserne. Den hatte die Frau betrogen, und jener hatte seine Tochter dem russischen Kapitän verkauft; hier handelte einer mit faulen Eiern, und dort lebte ein anderer von regelmäßigem Schmuggel; dieser hat im Gefängnis gesessen, und jener ist dem Kerker entgangen; der borgte den Offizieren Geld, und sein Nachbar trieb ein Drittel der Gage ein. Die Kameraden, Bürgerliche zumeist und deutscher Abstammung, lebten seit vielen Jahren in dieser Garnison, waren heimisch in ihr geworden und ihr anheimgefallen. Losgelöst von ihren heimischen Sitten, ihrer deutschen Muttersprache, die hier eine Dienstsprache geworden war, ausgeliefert der unendlichen Trostlosigkeit der Sümpfe, verfielen sie dem Hasardspiel und dem scharfen Schnaps, den man in dieser Gegend herstellte und der unter dem Namen »Neunziggrädiger« gehandelt wurde. Aus der harmlosen Durchschnittlichkeit, zu der sie Kadettenschule und überlieferter Drill herangezogen hatten, glitten sie in die Verderbnis dieses Landes, über das bereits der große Atem des großen feindlichen Zarenreiches strich. Kaum vierzehn Kilometer waren sie von Rußland entfernt. Die russischen Offiziere vom Grenzregiment kamen nicht selten herüber, in ihren langen sandgelben und taubengrauen Mänteln, die schweren silbernen und goldenen Epauletten auf den breiten Schultern und spiegelnde Galoschen an den spiegelblanken Schaftstiefeln, bei jedem Wetter. Die Garnisonen unterhielten sogar einen gewissen kameradschaftlichen Verkehr. Manchmal fuhr man auf kleinen, zeltüberspannten Bagagewagen über die Grenze, den Reiterkunststücken der Kosaken zuzusehn und den russischen Schnaps zu trinken. Drüben in der russischen Garnison standen die Schnapsfässer an den Rändern der hölzernen Bürgersteige, von Mannschaften mit Gewehr und aufgepflanzten langen, dreikantigen Bajonetten bewacht. Wenn der Abend einbrach, rollten die Fäßchen polternd durch die holprigen Straßen, angetrieben von den Stiefeln der Kosaken, gegen das russische Kasino, und ein leises Plätschern und 117
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Radetzkymarsch
Titel
Radetzkymarsch
Autor
Joseph Roth
Datum
1932
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
294
Schlagwörter
Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
Kategorien
Weiteres Belletristik

Inhaltsverzeichnis

  1. Teil 1 3
    1. Kapitel 1 5
    2. Kapitel 2 20
    3. Kapitel 3 31
    4. Kapitel 4 45
    5. Kapitel 5 53
    6. Kapitel 6 69
    7. Kapitel 7 81
    8. Kapitel 8 100
  2. Teil 2 111
    1. Kapitel 1 112
    2. Kapitel 2 122
    3. Kapitel 3 136
    4. Kapitel 4 153
    5. Kapitel 5 167
    6. Kapitel 6 178
    7. Kapitel 7 191
  3. Teil 3 202
    1. Kapitel 1 203
    2. Kapitel 2 219
    3. Kapitel 3 236
    4. Kapitel 4 251
    5. Kapitel 5 272
    6. Kapitel 6 281
  4. Epilog 288
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