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Glucksen verriet der Bevölkerung denInhalt der Fässer. Die Offiziere des
Zaren zeigten den Offizieren Seiner Apostolischen Majestät, was russische
Gastfreundschaft hieß. Und keiner von den Offizieren des Zaren und keiner
von den Offizieren der Apostolischen Majestät wußte um jene Zeit, daß über
den gläsernen Kelchen, aus denen sie tranken, der Tod schon seine hageren,
unsichtbaren Hände kreuzte.
In der weiten Ebene zwischen den beiden Grenzwäldern, dem
österreichischen und dem russischen, jagten die Sotnien der Grenzkosaken
einher, uniformierte Winde in militärischer Ordnung, auf den kleinen,
huschgeschwinden Pferdchen ihrer heimatlichen Steppen, die Lanzen
schwenkend über den hohen Pelzmützen wie Blitze an langen, hölzernen
Stielen, kokette Blitze mit niedlichen Fahnenschürzchen. Auf dem weichen,
federnden Sumpfboden war das Getrappel kaum zu vernehmen. Nur mit
einem leisen, feuchten Seufzen antwortete die nasse Erde auf den fliegenden
Anschlag der Hufe. Kaum daß sich die tiefgrünen Gräschen niederlegten. Es
war, als schwebten die Kosaken über das Gefilde. Und wenn sie über die
gelbe, sandige Landstraße setzten, erhob sich eine große, helle, goldige,
feinkörnige Staubsäule, flimmernd in der Sonne, breit zerflatternd, aufgelöst
wieder niedersinkend in tausend kleinen Wölkchen. Die geladenen Gäste
saßen auf rohgezimmerten, hölzernen Tribünen. Die Bewegungen der Reiter
waren fast schneller als die Blicke der Zuschauer. Mit den starken, gelben
Pferdezähnen hoben die Kosaken vom Sattel aus ihre roten und blauen
Taschentücher vom Boden, mitten im Galopp, die Leiber senkten sich, jäh
gefällt, unter die Bäuche der Rösser, und die Beine in den spiegelnden
Stiefeln preßten gleichzeitig noch die Flanken der Tiere. Andere warfen die
Lanzen weit von sich in die Luft, die Waffen wirbelten und fielen dann dem
Reiter gehorsam wieder in die erhobene Faust; wie lebendige Jagdfalken
kehrten sie zurück in die Hand ihrer Herren. Andere wieder sprangen geduckt,
den Oberkörper waagerecht über dem Leib des Pferdes, den Mund brüderlich
an das Maul des Tieres gepreßt, durch das erstaunlich kleine Rund eiserner
Reifen, die etwa ein mäßiges Faß hätten umgürten können. Die Rösser
streckten alle viere von sich. Ihre Mähnen erhoben sich wie Schwingen, ihre
Schweife standen waagerecht wie Steuer, ihre schmalen Köpfe glichen dem
schlanken Bug eines dahinschießenden Kahns. Wieder andere sprengten über
zwanzig Bierfässer, die, Boden an Boden, hintereinanderlagen. Hier
wieherten die Rösser, bevor sie zum Sprung ansetzten. Der Reiter kam aus
unendlicher Ferne dahergesprengt, ein grauer, winziger Punkt war er zuerst,
wuchs in rasender Geschwindigkeit zu einem Strich, einem Körper, einem
Reiter, ward ein riesengroßer, sagenhafter Vogel aus Mensch und Pferdeleib,
geflügelter Zyklop, um dann, wenn der Sprung geglückt war, ehern
stehenzubleiben, hundert Schritte vor den Fässern, ein Standbild, ein
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik