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Radetzkymarsch
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Fenster, wie um sich zu überzeugen, daß draußen die Welt noch bestand. Ja, die alten Kastanien im Stadtpark trugen noch ihre dichten, grünen Kronen. In ihnen lärmten unsichtbar die Vögel wie an jedem Morgen. Auch der Milchwagen, der um diese Zeit vor der Bezirkshauptmannschaft zu halten pflegte, stand heute da, unbekümmert, als wäre es ein Tag wie alle anderen. Es hat sich also draußen gar nichts verändert, stellte der Bezirkshauptmann fest. War es möglich, daß keine Post gekommen war? War es möglich, daß Jacques sie vergessen hatte? Herr von Trotta schwang die Tischglocke. Ihr silberner Klang lief hurtig durch das stille Haus. Niemand kam. Der Bezirkshauptmann rührte vorläufig das Frühstück nicht an. Er schwenkte noch einmal das Glöckchen. Endlich klopfte es. Er war erstaunt, erschrocken und beleidigt, als er seine Haushälterin, Fräulein Hirschwitz, eintreten sah. Sie trug eine Art von Morgenrüstung, in der er sie noch nie gesehen hatte. Eine große Schürze aus dunkelblauem Wachstuch hüllte sie vom Hals bis zu den Füßen ein, und eine weiße Haube saß stramm auf ihrem Kopf und ließ ihre großen Ohren mit den weichen, fleischigen und breiten Läppchen sehn. Also erschien sie Herrn von Trotta außerordentlich scheußlich – er konnte den Geruch von Wachstuch nicht vertragen. »Höchst fatal!« sagte er, ohne ihren Gruß zu erwidern. »Wo ist Jacques?« »Jacques ist heute von einer Unpäßlichkeit befallen worden.« »Befallen?« wiederholte der Bezirkshauptmann, der nicht sofort begriff. »Krank ist er?« fragte er weiter. »Er hat Fieber!« sagte Fräulein Hirschwitz. »Danke!« sagte Herr von Trotta und winkte mit der Hand. Er setzte sich an den Tisch. Er trank nur den Kaffee. Das Ei, den Honig, die Butter und die Kaisersemmeln ließ er auf dem Tablett. Er verstand nun zwar, daß Jacques krank geworden war und also nicht imstande, die Briefe zu bringen. Warum aber war Jacques krank geworden? Er war immer ebenso gesund gewesen wie die Post zum Beispiel. Wenn sie plötzlich aufgehört hätte, Briefe zu befördern, so wäre es keineswegs überraschender gewesen. Der Bezirkshauptmann selbst war niemals krank. Wenn man krank wurde, mußte man sterben. Die Krankheit war nichts anderes als ein Versuch der Natur, den Menschen an das Sterben zu gewöhnen. Epidemische Krankheiten – die Cholera hatte man in der Jugendzeit Herrn von Trottas noch gefürchtet – konnte der und jener überwinden. Andern Krankheiten aber, die so einzeln dahergeschlichen kamen, mußte man erliegen; mochten sie noch so verschiedene Namen tragen. Die Ärzte – die der Bezirkshauptmann »Feldscher« nannte – gaben vor, heilen zu können; aber nur, um nicht zu verhungern. Mochte es aber immerhin noch Ausnahmen geben, die nach einer 124
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Radetzkymarsch
Titel
Radetzkymarsch
Autor
Joseph Roth
Datum
1932
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
294
Schlagwörter
Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
Kategorien
Weiteres Belletristik

Inhaltsverzeichnis

  1. Teil 1 3
    1. Kapitel 1 5
    2. Kapitel 2 20
    3. Kapitel 3 31
    4. Kapitel 4 45
    5. Kapitel 5 53
    6. Kapitel 6 69
    7. Kapitel 7 81
    8. Kapitel 8 100
  2. Teil 2 111
    1. Kapitel 1 112
    2. Kapitel 2 122
    3. Kapitel 3 136
    4. Kapitel 4 153
    5. Kapitel 5 167
    6. Kapitel 6 178
    7. Kapitel 7 191
  3. Teil 3 202
    1. Kapitel 1 203
    2. Kapitel 2 219
    3. Kapitel 3 236
    4. Kapitel 4 251
    5. Kapitel 5 272
    6. Kapitel 6 281
  4. Epilog 288
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