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Radetzkymarsch
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die heiteren, maienhaften Geräusche des Hofes ins kleine Zimmer. Man hörte das Säuseln der Bäume, den sachten Atem des Windchens, das übermütige Summen der funkelnden spanischen Fliegen und das Trillern der Lerchen aus blauen, unendlichen Höhen. Der Kanarienvogel schwang sich hinaus, aber nur, um zu zeigen, daß er noch fliegen könne. Denn er kam nach ein paar Augenblicken wieder, setzte sich aufs Fensterbrett und begann, mit verdoppelter Kraft zu schmettern. Fröhlich war die Welt, drinnen und draußen. Und Jacques beugte sich aus dem Bett, lauschte regungslos, die Schweißperlchen glitzerten auf seiner harten Stirn, und sein schmaler Mund öffnete sich langsam. Zuerst lächelte er nur stumm. Dann kniff er die Augen zu, seine hageren, geröteten Wangen falteten sich an den Backenknochen, jetzt sah er aus wie ein alter Schelm, und ein dünnes Kichern kam aus seiner Kehle. Er lachte. Er lachte ohne Aufhören; die Kissen zitterten leise, und das Bettgestell stöhnte sogar ein wenig. Auch der Bezirkshauptmann schmunzelte. Ja, der Tod kam zum alten Jacques wie ein munteres Mädchen im Frühling, und Jacques öffnete den alten Mund und zeigte ihm die spärlichen, gelben Zähne. Er hob die Hand, wies auf das Fenster und schüttelte, immerfort kichernd, den Kopf. »Schöner Tag heute!« bemerkte der Bezirkshauptmann. »Da kommt er ja, da kommt er ja!« sagte Jacques. »Auf dem Schimmel, ganz weiß angezogen, warum reitet er denn so langsam? Schau, schau, wie langsam der reitet! Grüß Gott! Grüß Gott! Wollen S’ nicht näher kommen? Kommen S’ nur! Kommen S’ nur! Schön ist’s heut, was?« Er zog die Hand zurück, richtete den Blick auf den Bezirkshauptmann und sagte: »Wie langsam der reitet! Das kommt, weil er von drüben ist! Er ist schon lange tot und gar nicht mehr gewohnt, hier auf den Steinen herumzureiten! Ja, früher! Weißt noch, wie der ausgeschaut hat? Ich möcht’ das Bild sehn. Ob der sich wirklich verändert hat? Bring’s her, das Bild, sei so gut, bring’s her! Bitte, Herr Baron!« Der Bezirkshauptmann begriff sofort, daß es sich um das Porträt des Helden von Solferino handelte. Er ging gehorsam hinaus. Er nahm auf der Treppe sogar zwei Stufen auf einmal, trat schnell ins Herrenzimmer, stieg auf einen Stuhl und holte das Bild des Helden von Solferino vom Haken. Es war ein wenig verstaubt; er blies darauf und fuhr mit dem Taschentuch darüber, mit dem er früher die Stirn des Sterbenden getrocknet hatte. Auch jetzt schmunzelte der Bezirkshauptmann unaufhörlich. Er war fröhlich. Er war schon lange nicht mehr fröhlich gewesen. Er ging eilends, das große Bildnis unter dem Arm, durch den Hof. Er trat an Jacques’ Bett. Jacques schaute lange auf das Porträt, streckte den Zeigefinger aus, fuhr im Antlitz des Helden von Solferino herum und sagte endlich: »Halt’s in die Sonne!« Der Bezirkshauptmann gehorchte. Er hielt das Porträt in den besonnten Streifen am Bettende, Jacques richtete sich auf und sagte: »Ja, genau so hat er 130
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Radetzkymarsch
Titel
Radetzkymarsch
Autor
Joseph Roth
Datum
1932
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
294
Schlagwörter
Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
Kategorien
Weiteres Belletristik

Inhaltsverzeichnis

  1. Teil 1 3
    1. Kapitel 1 5
    2. Kapitel 2 20
    3. Kapitel 3 31
    4. Kapitel 4 45
    5. Kapitel 5 53
    6. Kapitel 6 69
    7. Kapitel 7 81
    8. Kapitel 8 100
  2. Teil 2 111
    1. Kapitel 1 112
    2. Kapitel 2 122
    3. Kapitel 3 136
    4. Kapitel 4 153
    5. Kapitel 5 167
    6. Kapitel 6 178
    7. Kapitel 7 191
  3. Teil 3 202
    1. Kapitel 1 203
    2. Kapitel 2 219
    3. Kapitel 3 236
    4. Kapitel 4 251
    5. Kapitel 5 272
    6. Kapitel 6 281
  4. Epilog 288
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