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alte Jacques sieht heut vormittag aus, als ob er sterben müßt’, und jetzt ist er
wieder ganz vergnügt!«
Nein, der Wachtmeister Slama hatte noch nie etwas Ähnliches gehört. Und
auf die Frage des Bezirkshauptmanns, ob er den Alten sehen wolle, sagte
Slama, er sei gewiß dazu bereit. Und beide gingen sie in den Hof.
Da saß nun Jacques auf seinem Schemel, eine Reihe militärisch geordneter
Stiefelpaare vor sich, die Bürste in der Hand und in die hölzerne Schachtel
mit der Schuhwichse kräftig spuckend. Er wollte sich erheben, als der
Bezirkshauptmann vor ihm stand, konnte es aber nicht schnell genug und
fühlte auch schon die Hände Herrn von Trottas auf seinen Schultern. Heiter
salutierte er mit der Bürste vor dem Wachtmeister. Der Bezirkshauptmann
setzte sich auf die Bank, der Wachtmeister lehnte das Gewehr an die Wand
und setzte sich ebenfalls, in gehöriger Entfernung; Jacques blieb auf seinem
Schemel und putzte die Stiefel, wenn auch sanfter und langsamer als sonst. In
seiner Stube saß indessen betend die Barmherzige Schwester.
»Jetzt is mir eingefallen«, sagte Jacques, »daß ich heut Herrn Baron du
gesagt hab’! Ich hab’ mich plötzlich erinnert!«
»Macht nix, Jacques!« sagte Herr von Trotta. »Das war das Fieber!«
»Ja, da hab’ ich halt als Leich’ geredet. Und wegen Falschmeldung müssen
S’ mich einsperren, Herr Wachtmeister. Weil ich nämlich Franz Xaver Joseph
heiß’! Aber auf’m Grabstein hätt’ ich auch den Jacques gern drauf. Und mein
Sparkassenbüchl liegt unterm Militärbüchl, da is was fürs Begräbnis und eine
heilige Meß, und da heiß’ ich aber wieder Jacques!«
»Kommt Zeit, kommt Rat!« sagte der Bezirkshauptmann. »Wir können
warten!«
Der Wachtmeister lachte laut und wischte sich die Stirn.
Jacques hatte alle Stiefel blank geputzt. Ihn fröstelte ein wenig; er ging
hinein, kam wieder, in seinen winterlichen Pelz gehüllt, den er auch im
Sommer trug, wenn es regnete, und setzte sich auf den Schemel. Der
Kanarienvogel folgte ihm, flatternd über seinem silbernen Haupt, suchte eine
Weile nach einem Plätzchen, hockte sich auf die Reckstange, auf der ein paar
Teppiche hingen, und begann zu schmettern. Sein Gesang weckte Hunderte
von Spatzenstimmen in den Kronen der wenigen Bäume, und ein paar
Minuten war die Luft erfüllt von einer zwitschernden und pfeifenden lustigen
Wirrnis. Jacques hob den Kopf und lauschte nicht ohne Stolz der siegreichen
Stimme seines Kanarienvogels, die alle andern übertönte. Der
Bezirkshauptmann lächelte. Der Wachtmeister lachte, das Taschentuch vor
dem Mund, und Jacques kicherte. Die Schwester selbst hörte mit dem Beten
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik