Seite - 137 - in Radetzkymarsch
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Ankunft angegeben hätte und wenn in jenem »gefährlichen Nest« zwei Züge
täglich angekommen wären, hätte er gerne noch eine Rast gemacht, um die
Welt zu betrachten. Immerhin, auch durch das Fenster ließ sie sich in
Augenschein nehmen. Der Frühling grüßte ihn die ganze Fahrt entlang. Am
Nachmittag kam er an. In munterer Gelassenheit stieg er vom Trittbrett mit
jenem »elastischen Schritt«, den die Zeitungen dem alten Kaiser
nachzurühmen pflegten und den allmählich viele ältliche Staatsbeamte gelernt
hatten. Denn es gab um jene Zeit in der Monarchie eine ganz besondere,
seither völlig vergessene Art, Eisenbahnen und Gefährte zu verlassen,
Gaststätten, Perrons und Häuser zu betreten, sich Angehörigen und Freunden
zu nähern; eine Art des Schreitens, die vielleicht auch von den schmalen
Hosen der älteren Herren bestimmt wurde und von den Gummistegen, die
viele von ihnen noch um die Zugstiefel zu schnallen liebten. Mit diesem
besonderen Schritt verließ also Herr von Trotta den Waggon. Er umarmte
seinen Sohn, der sich vor dem Trittbrett aufgestellt hatte. Herr von Trotta war
der einzige Fremde, der heute den Waggon erster und zweiter Klasse verließ.
Ein paar Urlauber und Eisenbahner und Juden in langen, schwarzen,
flatternden Gewändern kamen aus der dritten. Alle sahen auf den Vater und
den Sohn. Der Bezirkshauptmann beeilte sich, in den Wartesaal zu gelangen.
Hier küßte er Carl Joseph auf die Stirn. Am Büfett bestellte er zwei Cognacs.
An der Wand, hinter den Regalen mit den Flaschen, hing der Spiegel.
Während sie tranken, betrachteten Vater und Sohn ihre Gesichter. »Ist der
Spiegel so miserabel«, fragte Herr von Trotta, »oder siehst du wirklich so
schlecht aus?« Bist du wirklich so grau geworden? hätte Carl Joseph gerne
gefragt. Denn er sah viel Silber im dunklen Backenbart und an den Schläfen
des Vaters schimmern. »Laß dich anschaun!« fuhr der Bezirkshauptmann fort.
»Das ist allerdings nicht der Spiegel! Das ist der Dienst hier, vielleicht?!
Geht’s schlimm?!« Der Bezirkshauptmann stellte fest, daß sein Sohn nicht so
aussah, wie ein junger Leutnant auszusehen hatte. Krank ist er vielleicht,
dachte der Vater. Es gab außer den Krankheiten, an denen man starb, nur noch
jene schrecklichen Krankheiten, von denen Offiziere dem Vernehmen nach
nicht selten befallen wurden. »Darfst auch Cognac trinken?« fragte er, um auf
Umwegen den Sachverhalt aufzuklären. »Ja, gewiß, Papa«, sagte der
Leutnant. Diese Stimme, die ihn vor Jahren geprüft hatte, an den stillen
Sonntagvormittagen, sie lag ihm noch in den Ohren, diese nasale Stimme des
Staatsbeamten, die strenge, immer ein wenig verwunderte und forschende
Stimme, vor der jede Lüge noch auf der Zunge erstarb. »Gefällt’s dir bei der
Infanterie?« »Sehr gut, Papa!« »Und dein Pferd?« »Hab’ ich mitgenommen,
Papa!« »Reitest oft?« »Selten, Papa!« »Magst nicht?« »Nein, ich hab’s nie
gemocht, Papa!« »Hör auf mit dem ›Papa‹«, sagte plötzlich Herr von Trotta.
»Bist schon groß genug! Und ich hab’ Ferien!«
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik