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aneinander auf länglicher Schüssel, begleitet von rotbäckigen Radieschen, die
an kleine, knusprige Dorfmädchen erinnerten. Gekocht, gebraten und mit süß-
säuerlichen Zwiebeln mariniert, lagen die fetten, breiten Karpfenstücke und
die schmalen, schlüpfrigen Hechte auf Glas, Silber und Porzellan. Runde
Brote, schwarz, braun und weiß, ruhten in einfachen, ländlich geflochtenen
Strohkörbchen wie Kinder in Wiegen, kaum sichtbar zerschnitten, und die
Scheiben so kunstvoll wieder aneinandergefügt, daß die Brote heil und
ungeteilt aussahen. Zwischen den Speisen standen fette, bauchige Flaschen
und schmale, hochgewachsene, vier- und sechskantige Kristallkaraffen und
glatte, runde; solche mit langen und andere mit kurzen Hälsen; mit und ohne
Etiketten; und alle gefolgt von einem Regiment vielgestaltiger Gläser und
Gläschen.
Sie begannen zu essen.
Dem Bezirkshauptmann war diese ungewöhnliche Art, zu einer
ungewöhnlichen Stunde einen »Imbiß« einzunehmen, ein äußerst angenehmes
Anzeichen für die außergewöhnlichen Sitten der Grenze. In der alten kaiser-
und königlichen Monarchie waren selbst spartanische Naturen wie Herr von
Trotta beachtenswerte Liebhaber von Genüssen. Es war schon eine geraume
Zeit seit dem Tage verflossen, an dem der Bezirkshauptmann
außergewöhnlich gegessen hatte. Der Anlaß war damals das Abschiedsfest
des Statthalters, des Fürsten M., gewesen, der mit einem ehrenvollen Auftrag
in die frisch okkupierten Gebiete von Bosnien und Herzegowina abgegangen
war, dank seinen berühmt gewordenen Sprachkenntnissen und seiner
angeblichen Kunst, »wilde Völker zu zähmen«. Ja, damals hatte der
Bezirkshauptmann ungewöhnlich gegessen und getrunken! Und dieser Tag,
neben andern Trink- und Gelagetagen, hatte sich in seiner Erinnerung ebenso
stark erhalten wie die besonderen Tage, an denen er eine Belobung der
Statthalterei bekommen hatte, wie die Tage, an denen er zum
Bezirksoberkommissär und später zum Bezirkshauptmann ernannt worden
war. Die Vorzüglichkeit der Nahrung schmeckte er mit den Augen wie andere
mit dem Gaumen. Sein Blick schweifte ein paarmal über den reichen Tisch
und genoß und verweilte hier und dort im Genießen. Er hatte die
geheimnisvolle, ja etwas unheimliche Umgebung beinahe vergessen. Man aß.
Man trank aus den verschiedenen Flaschen. Und der Bezirkshauptmann lobte
alles, indem er, sooft er von einer Speise zur andern überging, »delikat« und
»ausgezeichnet« sagte. Sein Angesicht rötete sich langsam. Und die Flügel
seines Backenbartes bewegten sich fortwährend.
»Ich habe die Herren hierher eingeladen«, sagte Chojnicki, »weil wir im
›neuen Schloß‹ nicht ungestört gewesen wären. Dort ist meine Tür sozusagen
immer offen, und alle meine Freunde können kommen, wann sie wollen.
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik