Seite - 148 - in Radetzkymarsch
Bild der Seite - 148 -
Text der Seite - 148 -
war, Schnaps zu trinken.
Denn das Leben wurde leicht, sobald man getrunken hatte! Oh, Wunder
dieser Grenze! Sie machte einem Nüchternen das Leben schwer; aber wen
ließ sie nüchtern bleiben?! Der Leutnant Trotta sah, wenn er getrunken hatte,
in allen Kameraden, Vorgesetzten und Untergebenen alte und gute Freunde.
Das Städtchen war ihm vertraut, als wäre er darin geboren und aufgewachsen.
Er konnte in die winzigen Kramläden gehn, die schmal, dunkel, gewunden
und von allerlei Waren vollgestopft wie Hamsterlöcher in die dicken Mauern
des Basars eingegraben waren, und unbrauchbare Dinge einhandeln: falsche
Korallen, billige Spiegelchen, eine miserable Seife, Kämme aus Espenholz
und geflochtene Hundeleinen; lediglich, weil er den Rufen der rothaarigen
Händler freudig folgte. Er lächelte allen Menschen zu, den Bäuerinnen mit
den bunten Kopftüchern und den großen Bastkörben unter dem Arm, den
geputzten Töchtern der Juden, den Beamten der Bezirkshauptmannschaft und
den Lehrern des Gymnasiums. Ein breiter Strom von Freundlichkeit und Güte
rann durch diese kleine Welt. Aus allen Menschen grüßte es dem Leutnant
heiter entgegen. Es gab auch nichts Peinliches mehr. Nichts Peinliches im
Dienst und außerhalb des Dienstes! Alles erledigte man glatt und geschwind.
Onufrijs Sprache verstand man. Man kam gelegentlich in eines der
umliegenden Dörfer, fragte die Bauern nach dem Weg, sie antworteten in
einer fremden Sprache. Man verstand sie. Man ritt nicht. Man lieh das Pferd
dem und jenem der Kameraden: guten Reitern, die ein Roß schätzen konnten.
Mit einem Wort: Man war zufrieden. Leutnant Trotta wußte nur nicht, daß
sein Gang unsicher wurde, seine Bluse Flecken hatte, seine Hose keine
Bügelfalte, daß an seinen Hemden Knöpfe fehlten, seine Hautfarbe gelb am
Abend und aschgrau am Morgen war und sein Blick ohne Ziel. Er spielte
nicht – das allein beruhigte den Major Zoglauer. Es gab im Leben eines jeden
Menschen Zeiten, in denen er trinken mußte. Macht nichts, es ging vorüber! –
Der Schnaps war billig. Die meisten gingen nur an den Schulden zugrunde.
Der Trotta machte seinen Dienst nicht nachlässiger als die andern. Er machte
keinen Skandal wie mancher andere. Er wurde im Gegenteil immer sanfter, je
mehr er trank. Einmal wird er heiraten und nüchtern werden! dachte der
Major. Er ist ein Günstling oberster Stellen. Er wird eine schnelle Karriere
machen. Er wird in den Generalstab kommen, wenn er nur will.
Herr von Trotta setzte sich vorsichtig an den Rand des Sofas neben seinen
Sohn und suchte nach einem passenden Wort. Er war nicht gewohnt, zu
Betrunkenen zu sprechen. »Du sollst dich« – sagte er nach längerer
Überlegung – »denn doch vor dem Schnaps in acht nehmen! Ich zum
Beispiel, ich habe nie über den Durst getrunken.« Der Leutnant machte eine
ungeheure Anstrengung, um aus seiner respektlosen, kauernden Stellung in
eine sitzende zu gelangen. Seine Mühe war vergeblich. Er betrachtete den
148
zurück zum
Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik