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Alten, jetzt war es Gott sei Dank nur einer, der sich mit dem schmalen
Sitzrand begnügen und mit den Händen auf den Knien stützen mußte, und
fragte: »Was hast du eben gesagt, Papa?« »Du sollst dich vor dem Schnaps in
acht nehmen!« wiederholte der Bezirkshauptmann. »Wozu?« fragte der
Leutnant. »Was fragst du?« sagte Herr von Trotta, ein wenig getröstet, weil
ihm sein Sohn wenigstens klar genug erschien, das Gesagte zu begreifen.
»Der Schnaps wird dich zu Grund richten, erinnerst dich an den Moser?«
»Der Moser, der Moser«, sagte Carl Joseph. »Freilich! Er hat aber ganz recht!
Ich erinnere mich an ihn. Er hat das Bild von Großvater gemalt!« »Du hast es
vergessen?« sagte Herr von Trotta ganz leise. »Ich hab’ ihn nicht vergessen«,
antwortete der Leutnant, »an das Bild hab’ ich immer gedacht. Ich bin nicht
stark genug für dieses Bild. Die Toten! Ich kann die Toten nicht vergessen!
Vater, ich kann gar nichts vergessen! Vater!«
Herr von Trotta saß ratlos neben seinem Sohn, er verstand nicht genau, was
Carl Joseph sagte, aber er ahnte auch, daß nicht die Trunkenheit allein aus
dem Jungen sprach. Er fühlte, daß es um Hilfe aus dem Leutnant rief, und er
konnte nicht helfen! Er war an die Grenze gekommen, um selbst ein bißchen
Hilfe zu finden. Denn er war ganz allein in dieser Welt! Und auch diese Welt
ging unter! Jacques lag unter der Erde, man war allein, man wollte den Sohn
noch einmal sehn, und der Sohn war ebenfalls allein und vielleicht, weil er
jünger war, dem Untergang der Welt näher. Wie einfach hat die Welt immer
ausgesehn! dachte der Bezirkshauptmann. Für jede Lage gab es eine
bestimmte Haltung. Wenn der Sohn zu den Ferien kam, prüfte man ihn. Als er
Leutnant wurde, beglückwünschte man ihn. Wenn er seine gehorsamen Briefe
schrieb, in denen sowenig stand, erwiderte man mit ein paar gemessenen
Zeilen. Wie aber sollte man sich benehmen, wenn der Sohn betrunken war?
wenn er »Vater« rief? wenn es aus ihm »Vater!« rief?
Er sah Chojnicki eintreten und stand heftiger auf, als es seine Art war. »Es
ist ein Telegramm für Sie gekommen!« sagte Chojnicki. »Der Hoteldiener
hat’s gebracht.« Es war ein Diensttelegramm. Es berief Herrn von Trotta
wieder nach Hause. »Man ruft Sie leider schon zurück!« sagte Chojnicki. »Es
wird mit den Sokoln zusammenhängen.« »Ja, das ist es wahrscheinlich«,
sagte Herr von Trotta. »Es wird Unruhen geben!« Er wußte jetzt, daß er zu
schwach war, etwas gegen Unruhen zu unternehmen. Er war sehr müde. Ein
paar Jahre blieben noch bis zur Pensionierung! Aber in diesem Augenblick
hatte er den schnellen Einfall, sich bald pensionieren zu lassen. Er konnte sich
um Carl Joseph kümmern; eine passende Aufgabe für einen alten Vater.
Chojnicki sagte: »Es ist nicht leicht, wenn man die Hände gebunden hat,
wie in dieser verflixten Monarchie, etwas gegen Unruhen zu unternehmen.
Lassen Sie nur ein paar Rädelsführer verhaften, und die Freimaurer, die
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik