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Sekunden lang schien es dem Leutnant, daß oben an der Wand das Porträt
seines gealterten Vaters hänge und unten am Tisch lebendig und ein wenig
verjüngt der Kaiser in Zivil sitze. Und fern und fremd wurden ihm sein Kaiser
wie sein Vater.
Der Bezirkshauptmann schickte indessen einen hoffnungslosen, prüfenden
Blick rings um den Tisch, über die flaumigen und fast bartlosen Gesichter der
jungen Offiziere und die schnurrbärtigen der älteren. Neben ihm saß Major
Zoglauer. Ach, mit ihm hätte Herr von Trotta noch gerne ein besorgtes Wort
über Carl Joseph gewechselt! Es war keine Zeit mehr. Draußen vor dem
Fenster rangierte man schon den Zug.
Ganz verzagt war der Herr Bezirkshauptmann. Von allen Seiten trank man
auf sein Wohl, seine glückliche Reise und das gute Gelingen seiner
beruflichen Aufgaben. Er lächelte nach allen Seiten hin, erhob sich, stieß da
und dort an, und sein Kopf war schwer von Sorgen und sein Herz bedrängt
von düsteren Ahnungen. War doch schon eine ungeheuer lange Zeit
verstrichen seit seiner Abreise aus seinem Bezirk W.! Ja, der
Bezirkshauptmann war heiter und übermütig in eine abenteuerliche Gegend
und zu seinem vertrauten Sohn gefahren. Nun kehrte er zurück, einsam, von
einem einsamen Sohn und von dieser Grenze, wo der Untergang der Welt
bereits so deutlich zu sehen war, wie man ein Gewitter sieht am Rande einer
Stadt, deren Straßen noch ahnungslos und glückselig unter blauem Himmel
liegen. Schon läutete die fröhliche Glocke des Portiers. Schon pfiff die
Lokomotive. Schon schlug der nasse Dampf des Zuges in grauen, feinen
Perlen an die Fenster des Speisesaals. Schon war die Mahlzeit beendet, und
alle erhoben sich. Das »ganze Bataillon« begleitete Herrn von Trotta auf den
Perron. Herr von Trotta hatte den Wunsch, noch etwas Besonderes zu sagen,
aber es fiel ihm gar nichts Passendes ein. Er schickte noch einen zärtlichen
Blick zu seinem Sohn. Gleich darauf aber hatte er Angst, man würde diesen
Blick bemerken, und er senkte die Augen. Er drückte dem Major Zoglauer die
Hand. Er dankte Chojnicki. Er lüftete den würdigen, grauen Halbzylinder, den
er auf Reisen zu tragen pflegte. Er hielt den Hut in der Linken und schlug die
Rechte um den Rücken Carl Josephs. Er küßte den Sohn auf die Wangen. Und
obwohl er sagen wollte: Mach mir keinen Kummer! Ich liebe dich, mein
Sohn!, sagte er lediglich: »Halt dich gut!« – Denn die Trottas waren
schüchterne Menschen.
Schon stieg er ein, der Bezirkshauptmann. Schon stand er am Fenster.
Seine Hand im dunkelgrauen Glacéhandschuh lag am offenen Fenster. Sein
kahler Schädel glänzte. Noch einmal suchte sein bekümmertes Auge das
Angesicht Carl Josephs. »Wenn Sie nächstens wiederkommen, Herr
Bezirkshauptmann«, sagte der allzeit gutgelaunte Hauptmann Wagner,
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik