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Glücklicherweise verschwand Major Zoglauer heute schon nach einer
halben Stunde. Hauptmann Wagner übergab das Kommando dem
Oberleutnant Zander und ritt schleunigst zu Brodnitzer. Er erkundigte sich, ob
er am Nachmittag, gegen vier Uhr, auf Mitspieler rechnen könnte. Jawohl,
kein Zweifel! Alles ließ sich großartig an! Sogar die »Hausgeister«, jene
unsichtbaren Wesen, die Hauptmann Wagner in jedem Raum, in dem gespielt
wurde, fühlen konnte, mit denen er manchmal unhörbar sprach – und auch
dann in einem Kauderwelsch, das er sich im Laufe der Jahre zurechtgelegt
hatte –, sogar diese Hausgeister waren heute von eitel Wohlwollen für Wagner
erfüllt. Um sie noch besser zu stimmen oder um sie nicht anderer Meinung
werden zu lassen, beschloß Wagner, heute ausnahmsweise im Café Brodnitzer
Mittag zu essen und sich bis zur Ankunft Trottas nicht vom Platz zu rühren.
Er blieb. Gegen drei Uhr nachmittag kamen die ersten Spieler. Hauptmann
Wagner begann zu zittern. Wenn dieser Trotta ihn im Stich ließ und zum
Beispiel erst morgen das Geld brachte? Dann waren vielleicht schon alle
Chancen vorbei. Einen so guten Tag wie heute erwischte man vielleicht
niemals mehr! Die Götter waren gut gelaunt, und es war ein Donnerstag. Am
Freitag aber! Am Freitag das Glück rufen, das hieß ebensoviel wie von einem
Oberstabsarzt Kompanie-Exerzieren verlangen! Je mehr Zeit verging, desto
grimmiger dachte Hauptmann Wagner von dem säumigen Leutnant Trotta. Er
kam nicht, der junge Schuft! Und dazu hatte man sich so angestrengt, den
Exerzierplatz zu früh verlassen, auf das gewohnte Mittagessen im Bahnhof
verzichtet, mit den Hausgeistern mühsam verhandelt und gewissermaßen den
günstigen Donnerstag aufgehalten! Und dann wurde man im Stich gelassen.
Der Zeiger an der Wanduhr rückte unermüdlich vor, und Trotta kam nicht,
kam nicht, kam nicht!
Doch! Er kommt! Die Tür geht auf, und Wagners Augen leuchten! Er gibt
Trotta gar nicht die Hand! Seine Finger zittern. Alle Finger
gleichen ungeduldigen Räubern. Im nächsten Augenblick pressen sie schon
einen herrlichen, knisternden Umschlag. »Setz dich hin!« befahl der
Hauptmann. »In einer halben Stunde spätestens siehst du mich wieder!« Und
er verschwand hinter dem grünen Vorhang.
Die halbe Stunde verging, noch eine Stunde und noch eine. Es war schon
Abend, die Lichter brannten. Der Hauptmann Wagner kam langsam näher. Er
war höchstens noch an seiner Uniform zu erkennen, und auch diese hatte sich
verändert. Ihre Knöpfe standen offen, aus dem Kragen ragte das schwarze
Halsband aus Kautschuk, der Säbelgriff steckte unter dem Rock, die Taschen
blähten sich, und Zigarrenasche lag verstreut auf der Bluse. Auf dem Kopf
des Hauptmanns ringelten sich die Haare des braunen, zerstörten Scheitels,
und unter dem zerzausten Schnurrbart standen die Lippen offen. Der
Hauptmann röchelte: »Alles!« und setzte sich.
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik