Seite - 173 - in Radetzkymarsch
Bild der Seite - 173 -
Text der Seite - 173 -
Mächtig in den Torbögen der uralten Paläste standen die livrierten Türhüter
mit ihren Stäben, die Götter unter den Lakaien. Schwarze Kutschen auf
gummibereiften hohen und edlen Rädern mit zarten Speichen hielten vor den
Toren. Die Rösser streichelten mit fürsorglichen Hufen das Pflaster.
Staatsbeamte mit schwarzen Krappenhüten, goldenen Kragen und schmalen
Degen kamen würdig und verschwitzt von der Prozession. Die weißen
Schulmädchen, Blüten im Haar und Kerzen in den Händen, kehrten heim,
eingezwängt zwischen ihre feierlichen Elternpaare, wie deren körperhaft
gewordenen, etwas verstörten und vielleicht auch ein wenig verprügelten
Seelen. Über den hellen Hüten der hellen Damen, die ihre Kavaliere
spazierenführten wie an Leinen, wölbten sich die zierlichen Baldachine der
Sonnenschirme. Blaue, braune, schwarze, gold- und silberverzierte
Uniformen bewegten sich wie seltsame Bäumchen und Gewächse,
ausgebrochen aus einem südlichen Garten und wieder nach der fernen Heimat
strebend. Das schwarze Feuer der Zylinder glänzte über eifrigen und roten
Gesichtern. Farbige Schärpen, die Regenbogen der Bürger, lagen über breiten
Brüsten, Westen und Bäuchen. Da wallten über die Fahrbahn der Ringstraße
in zwei breiten Reihen die Leibgardisten in weißen Engelspelerinen mit roten
Aufschlägen und weißen Federbüschen, schimmernde Hellebarden in den
Fäusten, und die Straßenbahnen, die Fiaker und selbst die Automobile hielten
vor ihnen an wie vor wohlvertrauten Gespenstern der Geschichte. An den
Kreuzungen und Ecken begossen die dicken, zehnfach beschürzten
Blumenfrauen (städtische Schwestern der Feen) aus dunkelgrünen Kannen
ihre leuchtenden Sträuße, segneten mit lächelnden Blicken vorübergehende
Liebespaare, banden Maiglöckchen zusammen und ließen ihre alten Zungen
laufen. Die goldenen Helme der Feuerwehrmänner, die zu den Spektakeln
abmarschierten, funkelten, heitere Mahner an Gefahr und Katastrophe. Es
roch nach Flieder und Weißdorn. Die Geräusche der Stadt waren nicht laut
genug, die pfeifenden Amseln in den Gärten und die trillernden Lerchen in
den Lüften zu übertönen. All das schüttete die Welt über den Leutnant Trotta
aus. Er saß im Wagen neben seiner Freundin, er liebte sie, und er fuhr, wie
ihm schien, durch den ersten guten Tag seines Lebens.
Und es war auch in der Tat, als begänne sein Leben. Er lernte Wein trinken,
wie er an der Grenze den Neunziggrädigen getrunken hatte. Er aß mit der
Frau in jenem berühmten Speisehaus, dessen Wirtin würdig war wie eine
Kaiserin, dessen Raum heiter und andächtig war wie ein Tempel, nobel wie
ein Schloß und friedlich wie eine Hütte. Hier aßen an angestammten Tischen
die Exzellenzen, und die Kellner, die sie bedienten, sahen aus wie
ihresgleichen, so daß es beinahe war, als wechselten Gäste und Kellner in
einem bestimmten Turnus miteinander ab. Und jeder kannte jeden beim
Vornamen wie ein Bruder den andern; aber sie grüßten einander wie ein Fürst
173
zurück zum
Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik