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erkennen geben! Dieser ausgezeichnete Mann war der älteste und der einzige
Freund seines Vaters. Man sollte sich seiner nicht schämen. Er hatte den
Großvater gemalt! Der Leutnant tat einen tiefen Atemzug, um aus der Luft
Mut zu schöpfen, und sagte: »Wissen Sie eigentlich, daß wir uns schon lange
kennen?« Der Maler Moser reckte den Kopf, ließ seine Augen unter den
buschigen Brauen blitzen und fragte: »Wir – uns – lange – kennen?
Persönlich? Denn so, als Maler, kennen Sie mich natürlich! Als Maler bin ich
weithin bekannt. Ich bedaure, ich bedaure, ich fürchte, Sie irren sich! Oder« –
Moser wurde bekümmert – »ist es möglich, daß man mich verwechselt?«
»Ich heiße Trotta!« sagte der Leutnant.
Maler Moser schaute aus blicklosen, gläsernen Augen auf den Leutnant
und streckte die Hand aus. Dann brach ein donnerndes Jauchzen aus ihm. Er
zog den Leutnant an der Hand halb über den Tisch zu sich, beugte sich ihm
entgegen, und so, in der Mitte des Tisches, küßten sie sich brüderlich und
ausdauernd.
»Und was macht er, dein Vater?« fragte der Professor. »Ist er noch im Amt?
Ist er schon Statthalter? Hab’ nie mehr was von ihm gehört! Vor einiger Zeit
hab’ ich ihn hier getroffen im Volksgarten, da hat er mir Geld gegeben, da war
er nicht allein, da war er mit seinem Sohn, dem Bürscherl – aber halt, das bist
du ja eben.«
»Ja, das war ich damals«, sagte der Leutnant. »Es ist schon lange her, es ist
schon sehr, sehr lange her.«
Er erinnerte sich an den Schrecken, den er damals gefühlt hatte, beim
Anblick der klebrigen und roten Hand auf dem väterlichen Schenkel.
»Ich muß dich um Vergebung bitten, ja, um Vergebung!« sagte der
Leutnant. »Ich hab’ dich damals miserabel behandelt, miserabel hab’ ich dich
behandelt! Vergib mir, lieber Freund!«
»Ja, miserabel!« bestätigte Moser. »Ich verzeihe dir! Kein Wort mehr
davon! Wo wohnst du? Ich will dich begleiten!«
Man schloß das Gasthaus. Arm in Arm wankten sie durch die stillen
Gassen. »Hier bleibe ich«, murmelte der Maler. »Hier meine Adresse! Besuch
mich morgen, mein Junge!« Und er gab dem Leutnant eine seiner unmäßigen
Geschäftskarten, die er in den Kaffeehäusern zu verteilen pflegte.
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik