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Taschentuch so selten wie nur möglich zu ziehen. Niemand sollte es vorher
wissen, er wollte die Manöver überraschen und die ganze Umgebung mit
seinem Entschluß. Er freute sich über die Verzweiflung der Zivilbehörden, die
nicht genügend polizeiliche Vorkehrungen getroffen haben würden. Er hatte
keine Angst. Er wußte genau, daß die Stunde seines Todes noch nicht
gekommen war. Er erschreckte alle. Man versuchte, ihm abzuraten. Er blieb
hart. Eines Tages bestieg er den Hofzug und rollte nach dem Osten.
In dem Dorfe Z., nicht mehr als zehn Meilen von der russischen Grenze
entfernt, bereitete man ihm sein Quartier in einem alten Schloß. Der Kaiser
hätte lieber in einer der Hütten gewohnt, in denen die Offiziere untergebracht
waren. Seit Jahren ließ man ihn nicht richtiges Militärleben genießen. Ein
einziges Mal, eben in jenem unglücklichen italienischen Feldzug, hatte er
zum Beispiel einen echten, lebendigen Floh in seinem Bett gesehen, aber
niemandem was davon gesagt. Denn er war ein Kaiser, und ein Kaiser spricht
nicht von Insekten. Das war damals schon seine Meinung gewesen.
Man schloß die Fenster in seinem Schlafzimmer. In der Nacht, er konnte
nicht schlafen, rings um ihn aber schlief alles, was ihn zu bewachen hatte,
stieg der Kaiser im langen, gefalteten Nachthemd aus dem Bett und sachte,
sachte, um keinen zu wecken, klinkte er die hohen, schmalen Fensterflügel
auf. Er blieb eine Weile stehen, den kühlen Atem der herbstlichen Nacht
atmete er, und die Sterne sah er am tiefblauen Himmel und die rötlichen
Lagerfeuer der Soldaten. Er hatte einmal ein Buch über sich selbst gelesen, in
dem der Satz stand: »Franz Joseph der Erste ist kein Romantiker.« Sie
schreiben über mich, dachte der alte Mann, ich sei kein Romantiker. Aber ich
liebe die Lagerfeuer. Er hätte ein gewöhnlicher Leutnant sein mögen und
jung. Ich bin vielleicht keineswegs romantisch, dachte er, aber ich möchte
jung sein! Wenn ich nicht irre, dachte der Kaiser weiter, war ich achtzehn
Jahre alt, als ich den Thron bestieg. Als ich den Thron bestieg – dieser Satz
kam dem Kaiser sehr kühn vor, in dieser Stunde fiel es ihm schwer, sich selbst
für den Kaiser zu halten. Gewiß! Es stand in dem Buch, das man ihm mit
einer der üblichen, ehrfurchtsvollen Widmungen überreicht hatte. Er war ohne
Zweifel Franz Joseph der Erste! Vor seinem Fenster wölbte sich die
unendliche, tiefblaue, bestirnte Nacht. Flach und weit war das Land. Man
hatte ihm gesagt, daß diese Fenster nach dem Nordosten gingen. Man sah also
nach Rußland hinüber. Aber die Grenze war selbstverständlich nicht zu
erkennen. Und Kaiser Franz Joseph hätte in diesem Augenblick gern die
Grenze seines Reiches gesehen. Sein Reich! Er lächelte. Die Nacht war blau
und rund und weit und voller Sterne. Der Kaiser stand am Fenster, mager und
alt, in einem weißen Nachthemd und kam sich sehr winzig vor im Angesicht
der unermeßlichen Nacht. Der letzte seiner Soldaten, die vor den Zelten
patrouillieren mochten, war mächtiger als er. Der letzte seiner Soldaten! Und
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik