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Radetzkymarsch
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Seine Schläfen waren schon ganz weiß. Sein Kopf hing manchmal auf die Brust herab, und sein Kinn und die beiden Flügel seines Backenbarts lagen auf dem gestärkten Hemd. So schlief er in seinem Sessel plötzlich ein, fuhr nach einigen Minuten wieder auf und glaubte, eine Ewigkeit geschlafen zu haben. Überhaupt entschwand ihm sein peinlich genauer Sinn für den Gang der Stunden, seitdem er diese und jene seiner alten Gewohnheiten aufgegeben hatte. Denn eben diese Gewohnheiten zu erhalten, waren ja die Stunden und die Tage bestimmt gewesen, und nunmehr glichen sie leeren Gefäßen, die nicht mehr gefüllt werden konnten und um die man sich nicht mehr zu kümmern brauchte. Und nur am Nachmittag zur Schachpartie mit Doktor Skowronnek erschien der Bezirkshauptmann noch pünktlich. Eines Tages bekam er einen überraschenden Besuch. Er saß über seinen Papieren in der Kanzlei, als er draußen die wohlbekannte, polternde Stimme seines Jugendfreundes Moser vernahm und die vergeblichen Bemühungen des Amtsdieners, den Professor abzuweisen. Der Bezirkshauptmann klingelte und ließ den Professor kommen. »Grüß Gott, Herr Statthalter!« sagte Moser. Mit seinem Schlapphut, seiner Mappe und ohne Mantel sah Moser nicht aus wie jemand, der eine Reise zurückgelegt hat und eben aus der Eisenbahn gestiegen ist, sondern als käme er aus einem Haus gegenüber. Und den Bezirkshauptmann erschreckte der fürchterliche Gedanke, daß Moser gekommen sein könnte, um sich in W. für immer niederzulassen. Der Professor ging zuerst zur Tür zurück, drehte den Schlüssel um und sagte: »Damit man uns nicht überrascht, mein Lieber! Es könnte deiner Karriere schaden!« Dann trat er mit breiten, langsamen Schritten an den Schreibtisch, umarmte den Bezirkshauptmann und drückte ihm einen schallenden Kuß auf die Glatze. Hierauf ließ er sich im Lehnstuhl neben dem Schreibtisch nieder, legte Mappe und Hut vor die Füße auf den Boden und schwieg. Herr von Trotta schwieg ebenfalls. Er wußte nun, weshalb Moser gekommen war. Seit drei Monaten hatte er ihm kein Geld geschickt. »Entschuldige!« sagte der Herr von Trotta. »Ich wollt’s dir sofort nachzahlen! Du mußt entschuldigen! Ich hab’ viel Sorgen in der letzten Zeit!« »Kann mir’s denken!« erwiderte Moser. »Dein Herr Sohn ist sehr kostspielig! Seh’ ihn jede zweite Woche in Wien. Scheint sich gut zu amüsieren, der Herr Leutnant!« Der Bezirkshauptmann erhob sich. Er griff nach der Brust. Er fühlte den Brief Carl Josephs in der Tasche. Er trat ans Fenster. Den Rücken Moser zugewandt, den Blick auf die alten Kastanien im Park gegenüber gerichtet, fragte er: »Hast du mit ihm gesprochen?« »Wir trinken immer ein Gläschen, sooft wir uns treffen«, sagte Moser, »nobel ist er ja, dein Herr Sohn!« 211
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Radetzkymarsch
Titel
Radetzkymarsch
Autor
Joseph Roth
Datum
1932
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
294
Schlagwörter
Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
Kategorien
Weiteres Belletristik

Inhaltsverzeichnis

  1. Teil 1 3
    1. Kapitel 1 5
    2. Kapitel 2 20
    3. Kapitel 3 31
    4. Kapitel 4 45
    5. Kapitel 5 53
    6. Kapitel 6 69
    7. Kapitel 7 81
    8. Kapitel 8 100
  2. Teil 2 111
    1. Kapitel 1 112
    2. Kapitel 2 122
    3. Kapitel 3 136
    4. Kapitel 4 153
    5. Kapitel 5 167
    6. Kapitel 6 178
    7. Kapitel 7 191
  3. Teil 3 202
    1. Kapitel 1 203
    2. Kapitel 2 219
    3. Kapitel 3 236
    4. Kapitel 4 251
    5. Kapitel 5 272
    6. Kapitel 6 281
  4. Epilog 288
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