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Radetzkymarsch
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die Nacht nicht zur Kenntnis zu nehmen. Angekleidet und mit offenen Augen lag er auf dem Bett. Alle vertrauten Stimmen des Frühlings wehten durch das offene Fenster herein: der tiefe Lärm der Frösche und über ihm sein sanfter und heller Bruder, der Gesang der Grillen, dazwischen der ferne Ruf des nächtlichen Hähers und die Lieder der Burschen und Mägde aus dem Grenzdorf. Das Telegramm kam schließlich. Es teilte dem Leutnant mit, daß er diesmal nicht kommen könne. Frau von Taußig wäre zu ihrem Mann gefahren. Sie wollte bald zurück, wüßte nur nicht, wann. Mit »tausend Küssen« schloß der Text. Ihre Zahl beleidigte den Leutnant. Sie hätte nicht sparen dürfen, dachte er. Hunderttausend hätte sie auch telegraphieren können! Es fiel ihm ein, daß er sechstausend Kronen schuldig war. Mit ihnen verglichen, waren tausend Küsse eine kümmerliche Zahl. Er stand auf, um die offene Tür des Kleiderschranks zu schließen. Da hing, sauber und gerade, eine gebügelte Leiche, der freie, dunkelgraue, zivilistische Trotta. Über ihm schloß sich der Kasten. Ein Sarg: begraben! begraben! Der Leutnant öffnete die Tür zum Korridor. Immer saß Onufrij dort, schweigsam oder leise summend oder die Mundharmonika vor den Lippen und die Hände gewölbt über dem Instrument, um die Töne zu dämpfen. Manchmal saß Onufrij auf einem Stuhl. Manchmal hockte er auf der Schwelle. Vor einem Jahr schon hätte er das Militär verlassen sollen. Er blieb freiwillig. Sein Dorf Burdlaki lag in der Nähe. Immer, wenn der Leutnant wegfuhr, ging er in sein Dorf. Er nahm einen Knüppel aus Weichselholz mit, ein weißes, blaugeblümtes Tuch, legte rätselhafte Gegenstände in dieses Tuch, hängte das Bündel an das Knüppelende, schulterte den Stock, begleitete den Leutnant zur Bahn, wartete bis zum Abgang des Zuges, stand salutierend und erstarrt am Bahnsteig, auch wenn Trotta nicht aus dem Kupeefenster blickte, und begann dann seine Wanderung nach Burdlaki, zwischen den Sümpfen, auf dem schmalen Pfad, an dem die Weiden wuchsen, auf dem einzigen sicheren Weg, auf dem keine Gefahr war zu versinken. Onufrij kam rechtzeitig wieder, um Trotta zu erwarten. Und er setzte sich vor die Tür Trottas, schweigsam, summend oder auf der Mundharmonika spielend unter den gewölbten Händen. Der Leutnant öffnete die Tür zum Korridor. »Du kannst diesesmal nicht nach Burdlaki! Ich fahre nicht weg!« »Jawohl, Herr Leutnant!« Onufrij stand, erstarrt und salutierend, im weißen Korridor, ein dunkelblauer, gerader Strich. »Du bleibst hier!« wiederholte Trotta; er glaubte, Onufrij habe ihn nicht verstanden. Aber Onufrij sagte nur noch einmal: »Jawohl!« Und wie, um zu beweisen, daß er noch mehr begriffe, als man ihm sagte, ging er hinunter und kam mit einer Flasche Neunziggrädigem zurück. 223
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Radetzkymarsch
Titel
Radetzkymarsch
Autor
Joseph Roth
Datum
1932
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
294
Schlagwörter
Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
Kategorien
Weiteres Belletristik

Inhaltsverzeichnis

  1. Teil 1 3
    1. Kapitel 1 5
    2. Kapitel 2 20
    3. Kapitel 3 31
    4. Kapitel 4 45
    5. Kapitel 5 53
    6. Kapitel 6 69
    7. Kapitel 7 81
    8. Kapitel 8 100
  2. Teil 2 111
    1. Kapitel 1 112
    2. Kapitel 2 122
    3. Kapitel 3 136
    4. Kapitel 4 153
    5. Kapitel 5 167
    6. Kapitel 6 178
    7. Kapitel 7 191
  3. Teil 3 202
    1. Kapitel 1 203
    2. Kapitel 2 219
    3. Kapitel 3 236
    4. Kapitel 4 251
    5. Kapitel 5 272
    6. Kapitel 6 281
  4. Epilog 288
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