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wurde: »Man hat ihn verhaftet und verschickt. Wegen Spionageverdachts.«
Bei diesem Wort erhob sich der Leutnant. Er stand jetzt, beide Hände auf
den Tisch gestützt. Seine Beine spürte er kaum. Es war ihm, als stünde er
lediglich auf den Händen. Er grub sie fast in die Tischplatte. »Ich wünsche
nichts von Ihnen darüber zu hören«, sagte er. »Gehen Sie!«
»Leider nicht möglich, nicht möglich!« sagte Kapturak.
Er stand jetzt nahe am Tisch, neben Trotta. Er senkte den Kopf, wie um ein
schamhaftes Geständnis abzulegen, und sagte: »Ich muß auf einer Teilzahlung
bestehen!«
»Morgen!« sagte Trotta.
»Morgen!« wiederholte Kapturak. »Morgen ist es vielleicht unmöglich! Sie
sehen, was da jeden Tag für Überraschungen vorkommen. Ich habe am
Hauptmann ein Vermögen verloren. Wer weiß, ob man ihn jemals
wiedersehen wird. Sie sind sein Freund!«
»Was sagen Sie?« fragte Trotta. Er hob die Hände vom Tisch und stand
plötzlich sicher auf seinen Füßen. Er begriff plötzlich, daß Kapturak ein
ungeheuerliches Wort gesagt hatte, obwohl es die Wahrheit war; und
ungeheuerlich schien es nur, weil es die Wahrheit sagte. Zugleich erinnerte
sich der Leutnant an die einzige Stunde seines Lebens, in der er andern
Menschen gefährlich gewesen war. Er wünschte sich, jetzt ebenso gerüstet zu
sein wie damals, mit Säbel, Pistole, seinen Zug im Rücken. Der kleine, graue
Mann war heute weitaus gefährlicher, als es damals die Hunderte waren. Und
um seine Wertlosigkeit wettzumachen, suchte Trotta sein Herz mit einem
fremden Zorn zu erfüllen. Er ballte die Fäuste; er hatte es noch nie getan, und
er spürte, daß er nicht bedrohlich sein, sondern höchstens einen Bedrohlichen
spielen konnte. An seiner Stirn schwoll eine blaue Ader an, sein Angesicht
rötete sich, das Blut stieg auch in seine Augen, und sein Blick wurde starr. Es
gelang ihm, sehr gefährlich auszusehen. Kapturak wich zurück.
»Was sagen Sie?« wiederholte der Leutnant.
»Nichts!« sagte Kapturak.
»Wiederholen Sie, was Sie gesagt haben!« befahl Trotta.
»Nichts!« antwortete Kapturak.
Er zerrann wiederum für einen Augenblick in undeutliche, graue Flecke.
Und den Leutnant Trotta ergriff eine ungeheuere Angst, daß der Kleine die
gespenstische Fähigkeit habe, in Stücke zu zerfallen und sich wieder in ein
Ganzes zusammenzufügen. Und ein unwiderstehliches Verlangen, die
Substanz Kapturaks zu erfahren, erfüllte den Leutnant Trotta, ähnlich der
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik