Seite - 229 - in Radetzkymarsch
Bild der Seite - 229 -
Text der Seite - 229 -
Solferino, teils andern den Untergang bereitete, teils mitgezogen ward von
denen, die untergingen, und in jedem Falle zu jenen unseligen Wesen gehörte,
auf die eine böse Macht ein böses Auge geworfen hatte. Er ging auf und ab in
der stillen Gasse, sein Schritt hallte vor den beleuchteten und verhüllten
Fenstern des Cafés wider, in dem die Musik spielte, Karten auf die Tische
klatschten und statt der alten »Nachtigall« irgendeine neue sang und tanzte:
die alten Lieder und die alten Tänze. Heute saß gewiß keiner der Kameraden
dort. Auf jeden Fall wollte Trotta nicht nachsehen. Denn die Schande des
Hauptmanns Jedlicek lag auch auf ihm, obwohl ihm der Dienst bei der Armee
seit langem verhaßt war. Die Schande des Hauptmanns lag auf dem ganzen
Bataillon. Die militärische Erziehung Leutnant Trottas war stark genug, um es
ihm wenig begreiflich erscheinen zu lassen, daß sich die Offiziere des
Bataillons nach diesem Fall Jedlicek noch in der Garnison in Uniform auf die
Straße wagten. Ja, dieser Jedlicek! Groß, stark und heiter war er, ein guter
Kamerad, und sehr viel Geld brauchte er. Alles nahm er auf seine breiten
Schultern, Zoglauer liebte ihn, die Mannschaft liebte ihn. Allen war er stärker
erschienen als der Sumpf und die Grenze. Und er war ein Spion gewesen!
Aus dem Kaffeehaus tönte die Musik, scholl Stimmengewirr und
Tassenklirren und versank immer wieder im nächtlichen Chor der
unermüdlichen Frösche. Der Frühling war da! Chojnicki aber kam nicht! Der
einzige, der mit seinem Geld hätte helfen können. Es waren längst keine
sechstausend mehr, sondern siebentausendzweihundertfünfzig! Nächste
Woche genau um dieselbe Stunde zu bezahlen! Wenn er nicht bezahlte, ließ
sich gewiß irgendein Zusammenhang zwischen ihm und dem Hauptmann
Jedlicek herstellen. Er war sein Freund gewesen! Aber alle waren schließlich
seine Freunde gewesen. Dennoch konnte man just bei diesem unseligen
Leutnant Trotta auf alles gefaßt sein! Das Schicksal, sein Schicksal! Vor
vierzehn Tagen noch um diese Zeit war er ein froher und freier junger Mann
in Zivil gewesen. Um diese Stunde hatte er den Maler Moser getroffen und
einen Schnaps getrunken! Und heute beneidete er den Professor Moser.
Er hörte um die Ecke bekannte Schritte, die Kameraden kehrten heim. Alle
kamen sie, die im Hotel Brodnitzer wohnten, in einem stummen Rudel gingen
sie einher. Er trat ihnen entgegen. »Ah, du bist nicht weg!« sagte Winter. »Du
weißt also schon! Furchtbar! Entsetzlich!« Sie gingen, einer hinter dem
andern, ohne ein Wort und jeder bemüht, möglichst leise zu sein, die Treppe
hinauf. Sie stahlen sich fast die Treppe hinauf. »Alle auf Nummer neun!«
kommandierte Oberleutnant Hruba. Er bewohnte Nummer neun, das
geräumigste Zimmer im Hotel. Sie traten alle, die Köpfe gesenkt, in das
Zimmer Hrubas.
»Wir müssen was unternehmen!« begann Hruba. »Ihr habt den Zoglauer
gesehen! Er ist verzweifelt! Er wird sich erschießen! Wir müssen was
229
zurück zum
Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik