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unternehmen!«
»Unsinn, Herr Oberleutnant!« sagte der Leutnant Lippowitz. Er hatte sich
spät aktivieren lassen, nach zwei Semestern Jura, es gelang ihm niemals, den
»Zivilisten« abzulegen, und man begegnete ihm mit dem etwas scheuen und
auch etwas spöttischen Respekt, den man den Reserveoffizieren zollte. »Hier
können wir nichts machen«, sagte Lippowitz. »Schweigen und weiter dienen!
Es ist nicht der erste Fall. Es wird leider auch nicht der letzte in der Armee
sein!«
Niemand antwortete. Sie sahen wohl ein, daß gar nichts zu machen war.
Und jeder von ihnen hatte doch gehofft, daß sie, in einem Zimmer
versammelt, auf allerhand Auswege kommen würden. Nun aber erkannten sie
mit einem Schlage, daß sie lediglich der Schrecken zueinander getrieben
hatte, weil jeder von ihnen fürchtete, mit seinem Schrecken allein zwischen
seinen vier Wänden zu bleiben; aber auch, daß es ihnen gar nichts half, wenn
sie sich zusammenrotteten, und daß jeder einzelne mitten unter den andern
dennoch allein war mit seinem Schrecken. Sie hoben die Köpfe und sahen
sich an und ließen die Köpfe wieder sinken. So waren sie schon einmal
zusammengesessen, nach dem Selbstmord Hauptmann Wagners. Jeder von
ihnen dachte an den Vorgänger Hauptmann Jedliceks, den Hauptmann
Wagner, jeder von ihnen wünschte heute, auch Jedlicek hätte sich erschossen.
Und jedem kam plötzlich der Verdacht, daß sich auch ihr toter Kamerad
Wagner vielleicht nur erschossen hatte, weil er sonst verhaftet worden wäre.
»Ich werde hingehen, ich dring’ schon vor«, sagte Leutnant Habermann,
»und werde ihn niederknallen.«
»Du dringst eben erstens nicht vor!« erwiderte Lippowitz. »Zweitens ist
schon dafür gesorgt, daß er sich selber umbringt. Sobald man alles von ihm
erfahren hat, gibt man ihm eine Pistole mit und sperrt ihn mit ihr ein.«
»Ja, richtig, so ist es!« riefen einige. Sie atmeten auf. Sie begannen zu
hoffen, daß sich der Hauptmann in dieser Stunde schon umgebracht habe.
Und es war ihnen, als hätten sie alle soeben dank ihrer eigenen Klugheit
diesen vernünftigen Usus der Militärgerichtsbarkeit eingeführt.
»Um ein Haar hätt’ ich heut einen Mann umgebracht!« sagte Leutnant
Trotta.
»Wen, wieso, warum?« fragten alle durcheinander.
»Es ist Kapturak, den ihr alle kennt«, begann Trotta. Er erzählte langsam,
suchte nach Worten, verfärbte sich, und als er zum Ende kam, war es ihm
unmöglich zu erklären, weshalb er nicht zugestoßen hatte. Er fühlte, daß sie
ihn nicht verstehen würden. Ja, sie begriffen ihn jetzt nicht mehr. »Ich hätt’
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik