Seite - 231 - in Radetzkymarsch
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ihn erschlagen!« rief einer. »Ich auch«, ein zweiter. »Und ich«, ein dritter.
»Es ist eben nicht so leicht!« rief Lippowitz dazwischen.
»Dieser Blutsauger, der Jud«, sagte jemand – und alle wurden starr, weil sie
sich erinnerten, daß Lippowitz’ Vater auch Jude war.
»Ja, ich habe plötzlich«, begann Trotta wieder – und es verwunderte ihn
höchlichst, daß er in diesem Augenblick an den toten Max Demant denken
mußte und an dessen Großvater, den weißbärtigen König unter den
Schankwirten –, »ich hab’ plötzlich ein Kreuz hinter ihm gesehen!« Einer
lachte. Ein anderer sagte kühl: »Bist besoffen gewesen!«
»Also Schluß!« befahl endlich Hruba. »Das alles wird morgen dem
Zoglauer gemeldet!«
Trotta sah ein Gesicht nach dem andern an; müde, schlaffe, aufgeregte,
aber noch in der Müdigkeit und in der Aufregung aufreizend heitere
Gesichter. Wenn der Demant jetzt lebte, dachte Trotta. Man könnte mit ihm
reden, mit dem Enkel des weißbärtigen Königs der Schankwirte! Er
versuchte, unbemerkt hinauszugehen. Er ging in sein Zimmer.
Am nächsten Morgen meldete er den Vorfall. Er berichtete in der Sprache
der Armee, in der er seit seiner Knabenzeit zu melden und zu erzählen
gewohnt war, in der Sprache der Armee, die seine Muttersprache war. Aber er
fühlte wohl, daß er nicht alles und nicht einmal das Wichtige gesagt hatte und
daß zwischen seinem Erlebnis und dem Bericht, den er erstattete, ein weiter
und rätselhafter Abstand lag, gleichsam ein ganzes merkwürdiges Land. Er
vergaß auch nicht, den Schatten des Kreuzes zu melden, den er gesehen zu
haben glaubte. Und der Major lächelte genau so, wie Trotta es erwartet hatte,
und fragte: »Wieviel hatten Sie getrunken?« »Eine halbe Flasche!« sagte
Trotta. »Na also!« bemerkte Zoglauer.
Er hatte nur einen Augenblick gelächelt, der geplagte Major Zoglauer. Es
war eine ernste Geschichte. Die ernsten Geschichten häuften sich leider. Eine
peinliche Sache, jedenfalls höheren Orts zu vermelden. Man konnte warten.
»Haben Sie das Geld?« fragte der Major. »Nein!« sagte der Leutnant. Und sie
sahen einander einen Augenblick ratlos an, mit leeren, starren Augen, mit den
armen Augen von Menschen, die sich nicht einmal gestehen durften, daß sie
ratlos waren. Es stand nicht alles im Reglement, man konnte die Büchl von
vorn nach hinten und wieder von hinten nach vorn durchblättern, es stand
nicht alles drin! War der Leutnant im Recht gewesen? Hatte er zu früh nach
dem Säbel gegriffen? War der Mann im Recht, der ein Vermögen verliehen
hatte und es zurückforderte? Und wenn der Major auch alle seine Herren
zusammenrief und sich mit ihnen beriet: Wer hätte einen Rat gewußt? Wer
durfte klüger sein als der Kommandant des Bataillons? Und waswar nur los
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik