Seite - 237 - in Radetzkymarsch
Bild der Seite - 237 -
Text der Seite - 237 -
Herz Herrn von Trottas. Und es sagte: Leg sofort dein Amt nieder! Geh
frühzeitig in Pension. Im Dienst deines Kaisers hast du nichts mehr zu
suchen! Im nächsten Augenblick aber sehne das väterliche Herz: Die Zeit ist
schuld! Die Grenzgarnison ist schuld! Du selbst bist schuld! Dein Sohn ist
aufrichtig und edel! Nur schwach ist er leider! Und man muß ihm helfen!
Man mußte ihm helfen! Man mußte verhüten, daß der Name der Trottas
entehrt und geschändet würde. Und in diesem Punkte waren sich beide
Herzen Herrn von Trottas einig, das väterliche und das amtliche. Also galt es
vor allem, Geld zu beschaffen, siebentausendzweihundertfünfzig Kronen! Die
fünftausend Florin, einstmals von der kaiserlichen Gnade dem Sohn des
Helden von Solferino gespendet, wie das ererbte Geld des Vaters waren längst
nicht mehr vorhanden. Sie warendem Bezirkshauptmann unter den Händen
zerronnen, für dies und jenes, für den Haushalt, für die Kadettenschule in
Mährisch-Weißkirchen, für den Maler Moser, für das Pferd, für wohltätige
Zwecke, Herr von Trotta hatte immer darauf gehalten, reicher zu erscheinen,
als er war. Er hatte die Instinkte eines wahren Herrn. Und es gab um jene Zeit
(und es gibt vielleicht auch heute noch) keine kostspieligeren Instinkte. Die
Menschen, die mit derlei Flüchen begnadet sind, wissen weder, wieviel sie
besitzen, noch, wieviel sie ausgeben. Sie schöpfen aus einem unsichtbaren
Quell. Sie rechnen nicht. Sie sind der Meinung, ihr Besitz könne nicht
geringer sein als ihre Großmut.
Zum erstenmal in seinem nunmehr so langen Leben stand Herr von Trotta
vor der unmöglichen Aufgabe, eine verhältnismäßig große Summe auf der
Stelle zu beschaffen. Er hatte keine Freunde, jene Schulkollegen und
Studiengenossen ausgenommen, die heute in Ämtern saßen wie er und mit
denen er seit Jahren nicht verkehrt hatte. Die meisten waren arm. Er kannte
den reichsten Mann dieser Bezirksstadt, den alten Herrn von Winternigg. Und
er begann, sich langsam an den schauderhaften Gedanken zu gewöhnen, daß
er zu Herrn von Winternigg gehen würde, morgen, übermorgen oder schon
heute, um ein Darlehen bitten. Er hatte keine überaus starke Vorstellungskraft,
der Herr von Trotta. Dennoch gelang es ihm, sich jeden Schritt dieses
schrecklichen Bittganges mit qualvoller Deutlichkeit auszumalen. Und zum
erstenmal in seinem nunmehr langen Leben mußte der Bezirkshauptmann
erfahren, wie schwer es ist, hilflos zu sein und würdig zu bleiben. Wie ein
Blitz fiel diese Erfahrung auf ihn nieder, zerbrach in einem Nu den Stolz, den
Herr von Trotta so lange sorgfältig gehütet und gepflegt, den er ererbt hatte
und weiterzuvererben entschlossen war. Schon war er gedemütigt wie einer,
der seit vielen Jahren nutzlose Bittgänge unternimmt. Der Stolz war früher
der starke Genosse seiner Jugend gewesen, später eine Stütze seines Alters
geworden, nun war ihm der Stolz genommen, dem armen, alten Herrn
Bezirkshauptmann! Er beschloß, sofort einen Brief an Herrn von Winternigg
237
zurück zum
Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik