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zu schreiben. Kaum aber hatte er die Feder angesetzt, als es ihm deutlich
wurde, daß er nicht einmal imstande war, einen Besuch anzukündigen, der
eigentlich ein Bittgang genannt werden mußte. Und es schien dem alten
Trotta, daß er sich in eine Art Betrug einlasse, wenn er nicht von Anfang an
den Zweck seines Besuches zumindest andeute. Es war aber unmöglich, eine
Wendung zu finden, die dieser Absicht einigermaßen entsprochen hätte. Und
also blieb er lange sitzen, die Feder in der Hand, überlegte und stilisierte und
verwarf jeden Satz wieder. Man konnte freilich auch mit Herrn von
Winternigg telephonieren. Aber seitdem es ein Telephon in der
Bezirkshauptmannschaft gab – und das war nicht länger her als zwei Jahre –,
hatte Herr von Trotta es nur zu dienstlichen Gesprächen benutzt.
Unvorstellbar, daß er etwa an den braunen, großen, ein wenig auch
unheimlichen Kasten getreten wäre, die Klingel gedreht hätte, um mit jenem
schauderhaften Hallo!, das Herrn von Trotta fast beleidigte (weil es ihm das
kindische Losungswort eines ungeziemenden Übermuts zu sein schien, mit
dem ernste Leute an die Besprechung ernster Sachen gingen), ein Gespräch
mit Herrn von Winternigg anzufangen. Unterdessen fiel es ihm ein, daß sein
Sohn auf eine Antwort wartete, eine Depesche vielleicht. Und was sollte der
Bezirkshauptmann telegraphieren! Etwa: Werde alles versuchen. Näheres
folgt? Oder: Warte geduldig Weiteres ab? Oder: Versuche andere Mittel,
hierorts unmöglich? – Unmöglich! Ein langes, schreckliches Echo weckte
dieses Wort. Was war unmöglich? Die Ehre der Trottas zu retten? Das mußte
ja möglich sein. Das durfte ja nicht unmöglich sein! Auf und ab, auf und ab
ging der Bezirkshauptmann durch die Kanzlei, wie an jenen
Sonntagvormittagen, an denen er den kleinen Carl Joseph geprüft hatte. Eine
Hand hielt er am Rücken und an der anderen Hand schepperte die
Manschette. Dann ging er in den Hof hinunter, getrieben von dem
wahnwitzigen Einfall, daß der tote Jacques noch dort sitzen könnte, im
Schatten des Gebälks. Leer war der Hof. Das Fenster des kleinen Häuschens,
in dem Jacques gewohnt hatte, stand offen, und der Kanarienvogel lebte noch.
Er saß auf dem Fensterrahmen und schmetterte. Der Bezirkshauptmann kehrte
um, nahm Hut und Stock und verließ das Haus. Er hatte sich entschlossen,
etwas Außergewöhnliches zu unternehmen, nämlich den Doktor Skowronnek
zu Hause aufzusuchen. Er überquerte den kleinen Marktplatz, bog in die
Lenaugasse ein, suchte an den Haustüren nach einem Schild, denn er wußte
die Hausnummer nicht, und mußte sich nach der Adresse Skowronneks
schließlich bei einem Kaufmann erkundigen, obwohl es ihm wie eine
Indiskretion vorkam, einen Fremden mit der Bitte um eine Auskunft zu
belästigen. Aber auch das überstand Herr von Trotta starkmütig und
zuversichtlich, und er trat in das Haus, das man ihm bezeichnete. Er traf
Doktor Skowronnek im kleinen Garten hinter dem Flur, mit einem Buch unter
einem riesigen Sonnenschirm. »Um Gottes willen!« rief Skowronnek. Denn
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik