Seite - 241 - in Radetzkymarsch
Bild der Seite - 241 -
Text der Seite - 241 -
an Carl Joseph: »Wird erledigt. Gruß, Vater.« Er ist ganz sicher, daß alles
gutgeht. Denn mag es vielleicht unmöglich sein, das Geld aufzubringen, noch
weniger möglich ist es, daß die Ehre der Trottas gefährdet werde. Ja, der
Bezirkshauptmann bildet sich ein, daß ihn der Geist seines Vaters, des Helden
von Solferino, bewache und begleite. Und der Cognac wärmt sein altes Herz.
Es schlägt ein bißchen heftiger. Er ist aber ganz ruhig. Und er bezahlt den
Kutscher vor dem Eingang zur Villa Winterniggs und salutiert wohlwollend
mit einem Finger, wie er immer kleine Leute zu grüßen pflegt. Wohlwollend
lächelt er auch dem Diener zu. Mit Hut und Stock in der Hand wartet er.
Herr von Winternigg kam, winzig und gelb. Er streckte dem
Bezirkshauptmann sein dürres Händchen entgegen, fiel nieder in einen breiten
Sessel und verschwand fast in der grünen Polsterung. Seine farblosen Augen
richtete er gegen die großen Fenster. In seinen Augen lebte kein Blick, oder
sie verbargen geradezu seinen Blick; sie waren matte, alte Spiegelchen, der
Bezirkshauptmann sah nur sein eigenes kleines Abbild in ihnen. Er begann,
geläufiger, als er es sich selbst zugetraut hätte, mit wohlgesetzten
Entschuldigungen, und er erklärte, wieso es ihm unmöglich gewesen sei,
seinen Besuch anzukündigen. Dann sagte er: »Herr von Winternigg, ich bin
ein alter Mann.« Er hatte diesen Satz gar nicht sagen wollen. Die gelben,
runzligen Lider Winterniggs klappten ein paarmal auf und nieder, und der
Bezirkshauptmann hatte die Empfindung, er spräche zu einem alten, dürren
Vogel, der die menschliche Sprache nicht verstand.
»Sehr bedauerlich!« sagte dennoch Herr von Winternigg. Er sprach sehr
leise. Seine Stimme hatte keinen Klang, wie seine Augen keinen Blick. Er
hauchte, wenn er sprach, und entblößte dabei ein kräftiges, überraschendes
Gebiß, breite, gelbliche Zähne, ein starkes Schutzgitter, das die Worte
bewachte.
»Sehr bedauerlich!« sagte Herr von Winternigg noch einmal. »Ich hab’ ja
gar kein Bargeld!«
Der Bezirkshauptmann erhob sich sofort. Auch Winternigg schnellte auf.
Er stand, winzig und gelb, vor dem Bezirkshauptmann, bartlos vor einem
silbrigen Backenbart, und Herr von Trotta schien zu wachsen und glaubte
auch selbst zu fühlen, daß er wachse. War sein Stolz gebrochen? Keineswegs.
War er gedemütigt? Er war es nicht! Er hatte die Ehre des Helden von
Solferino zu retten, wie es die Aufgabe des Helden von Solferino gewesen
war, das Leben des Kaisers zu retten. So leicht waren eigentlich die
Bittgänge! Mit Verachtung, zum erstenmal füllte sich das Herz Herrn von
Trottas mit wirklicher Verachtung, und die Verachtung war fast so groß wie
sein Stolz. Er empfahl sich. Und er sagte mit seiner alten, hochmütig
näselnden Stimme des Beamten: »Ich empfehle mich, Herr von Winternigg!«
241
zurück zum
Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik