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In Montenuovos Obersthofmeisteramt saß der Glückspilz, der Gustl, den
sie alle beneideten, obwohl man wußte, daß seine Herrlichkeit mit dem Tode
des Alten und der Thronbesteigung Franz Ferdinands ein schmähliches Ende
finden würde. Sie warteten schon darauf. Indessen: Er hatte geheiratet, und
zwar die Tochter eines Fugger, er, ein Bürgerlicher, den sie all kannten, aus
der dritten Bank, linke Ecke, dem sie alle vorgesagt hatten, sooft er geprüft
wurde, und dessen »Glück« sie mit bitteren Sprüchen seit dreißig Jahren
begleiteten. Gustl wurde geadelt und saß im Obersthofmeisteramt. Er hieß
nicht mehr Hasselbrunner, er hieß von Hasselbrunner. Sein Dienst war
einfach, ein Kinderspiel, während sie alle, die andern, unerträgliche und
äußerst verwickelte Angelegenheiten zu erledigen hatten. Der Hasselbrunner!
Er allein konnte da was machen.
Und am nächsten Morgen, um neun Uhr schon, stand der
Bezirkshauptmann vor der Tür Hasselbrunners, im Obersthofmeisteramt. Er
erfuhr, daß Hasselbrunner verreist war und vielleicht heute nachmittag
zurückkommen würde. Zufällig kam der Smetana vorbei, den er gestern nicht
hatte finden können. Und Smetana, schnellstens eingeweiht und flink wie
immer, wußte vieles. Wenn Hasselbrunner auch verreist war, so saß doch
nebenan der Lang. Und Lang war ein netter Kerl. Und also begann des
unermüdlichen Bezirkshauptmanns Irrgang von einer Kanzlei zur andern. Er
kannte die geheimen Gesetze keineswegs, die in den kaiser-königlichen
Wiener Behörden gültig waren. Jetzt lernte er sie kennen. Diesen Gesetzen
zufolge waren die Amtsdiener mürrisch, bevor er seine Visitkarte herauszog;
hierauf, sobald sie seinen Rang kannten, untertänig. Die höheren Beamten
begrüßten ihn samt und sonders mit herzlichem Respekt. Jeder von ihnen,
ohne Ausnahme, schien in der ersten Viertelstunde bereit, seine Karriere und
sogar sein Leben für den Bezirkshauptmann wagen zu wollen. Und erst in der
nächsten Viertelstunde trübten sich ihre Augen, erschlafften ihre Gesichter;
der große Kummer zog in ihre Herzen und lähmte ihre Bereitschaft, und jeder
von ihnen sagte: »Ja, wenn’s was andres wär’! Mit Freuden! So aber, lieber,
lieber Baron Trotta, selbst für unsereinen, na, Ihnen brauch’ ich ja eh nix zu
sagen.« Und so und ähnlich redeten sie an dem unerschütterlichen Herrn von
Trotta vorbei. Er ging durch Kreuzgang und Lichthof, in den dritten Stock, in
den vierten, zurück in den ersten, dann ins Parterre. Und dann beschloß er, auf
Hasselbrunner zu warten. Er wartete bis zum Nachmittag, und er erfuhr, daß
Hasselbrunner gar nicht in Wirklichkeit verreist, sondern zu Hause geblieben
war. Und der unerschrockene Kämpfer für die Ehre der Trottas drang in
Hasselbrunners Wohnung vor. Hier endlich zeigte sich eine schwache
Aussicht. Sie fuhren zusammen zu dem und jenem, Hasselbrunner und der
alte Herr von Trotta. Es galt, bis zu Montenuovo selbst vorzudringen. Und es
gelang schließlich um die sechste Abendstunde, einen Freund Montenuovos
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik