Seite - 247 - in Radetzkymarsch
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den geraden Weg zum Schönbrunner Schloß empor. Über ihm jubelten die
morgendlichen Vögel. Der Duft des Flieders und Jasmins betäubte ihn. Von
den weißen Kastanienkerzen fiel hier und dort ein Blättchen auf seine
Schulter. Er knipste es mit zwei Fingern weg. Langsam ging er die
strahlenden, flachen Stufen empor, die schon weiß in der Morgensonne lagen.
Der Posten salutierte, der Bezirkshauptmann von Trotta betrat das Schloß.
Er wartete. Er wurde, wie es Vorschrift war, von einem Beamten des
Obersthofmeisteramtes gemustert. Sein Frack, seine Handschuhe, seine
Hosen, seine Stiefel waren tadellos. Es wäre unmöglich gewesen, einen
Fehler an Herrn von Trotta zu entdecken. Er wartete. Er wartete in dem
großen Raum vor dem Arbeitszimmer der Majestät, durch dessen sechs große,
gewölbte und noch morgendlich verhangene, aber bereits geöffnete Fenster
der ganze Reichtum des Frühsommers drang, alle süßen Gerüche und alle
tollen Stimmen der Vögel von Schönbrunn.
Er schien nichts zu hören, der Bezirkshauptmann. Er schien auch den Herrn
nicht zu beachten, dessen diskrete Pflicht es war, die Besucher des Kaisers zu
mustern und ihnen Verhaltungsmaßregeln zu geben. Vor der silbernen,
unnahbaren Würde des Bezirkshauptmanns verstummte er und unterließ seine
Pflicht. An beiden Flügeln der hohen, weißen, goldgesäumten Tür standen
zwei übergroße Wächter wie tote Standbilder. Der braungelbe Parkettboden,
den der rötliche Teppich nur in der Mitte bedeckte, spiegelte den unteren Teil
Herrn von Trottas undeutlich wider, die schwarze Hose, die vergoldete Spitze
der Degenscheide und auch die wallenden Schatten der Frackschöße. Herr
von Trotta erhob sich. Er ging mit zagen, lautlosen Schritten über den
Teppich. Sein Herz klopfte. Aber seine Seele war ruhig. In dieser Stunde, fünf
Minuten vor der Begegnung mit seinem Kaiser, war es Herrn von Trotta, als
verkehrte er hier seit Jahren und als wäre er gewohnt, jeden Morgen Seiner
Majestät Kaiser Franz Joseph dem Ersten persönlich Bericht zu erstatten über
die Vorfälle des vergangenen Tages im mährischen Bezirk W. Ganz heimisch
fühlte sich der Herr Bezirkshauptmann im Schlosse seines Kaisers. Höchstens
störte ihn der Gedanke, daß er es vielleicht nötig hätte, noch einmal mit
kämmenden Fingern durch seinen Backenbart zu fahren, und daß jetzt keine
Gelegenheit mehr war, die weißen Handschuhe abzustreifen. Kein Minister
des Kaisers und nicht einmal der Obersthofmeister selbst hätte sich hier
heimischer fühlen können als der Herr von Trotta. Von Zeit zu Zeit blähte der
Wind die sonnengelben Vorhänge vor den hohen, gewölbten Fenstern, und ein
Stück sommerliches Grün stahl sich in das Gesichtsfeld des
Bezirkshauptmanns. Immer lauter lärmten die Vögel. Schon begannen ein
paar schwere Fliegen zu summen, im törichten, verfrühten Glauben, der
Mittag sei gekommen, und allmählich fing auch die sommerliche Hitze an,
fühlbar zu werden. Der Bezirkshauptmann blieb in der Mitte des Raums
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik