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trotzdem einen neuen Glanz erhalte, war Rittmeister Graf Zschoch von den
Dragonern auf den genialen Einfall gekommen, ein großes Sommerfest zu
veranstalten. Genial war dieser Einfall einfach deshalb, weil das Fest als eine
Probe für die große Jahrhundertfeier des Regiments gelten konnte. Der
hundertste Geburtstag des Dragonerregiments sollte erst in einem Jahr
stattfinden, aber es war, als könnte es sich nicht ganze neunundneunzig Jahre
in Geduld fassen, so ganz ohne Jubel. Man sagte allgemein, der Einfall sei
genial. Der Oberst Festetics sagte es auch und bildete sich sogar ein, daß er
allein und zuerst diese Bezeichnung geprägt hatte. Er hatte ja auch mit den
Vorbereitungen für die große Jahrhundertfeier seit einigen Wochen begonnen.
Jeden Tag, in freien Stunden, diktierte er in der Regimentskanzlei den
untertänigen Einladungsbrief, der ein halbes Jahr später an den Inhaber des
Regiments, einen kleinen reichsdeutschen Fürsten aus leider etwas
vernachlässigter Nebenlinie, abgeschickt werden sollte. Allein die Stilisierung
dieses höfischen Schreibens beschäftigte zwei Männer, den Obersten Festetics
und den Rittmeister Zschoch. Manchmal gerieten sie auch in heftige
Diskussionen über stilistische Fragen. So hielt zum Beispiel der Oberst die
Wendung »Und erlaubt sich das Regiment untertänigst« für gestattet, während
der Rittmeister der Ansicht war, daß sowohl das »und« falsch sei als auch das
»untertänigst« nicht ganz zulässig. Sie hatten beschlossen, jeden Tag zwei
Sätze zu verfassen, und das gelang ihnen auch. Jeder von ihnen diktierte
einem Schreiber, der Rittmeister einem Gefreiten, der Oberst einem
Zugsführer. Dann verglichen sie die Sätze. Beide lobten einander über die
Maßen. Der Oberst verschloß hierauf die Entwürfe im großen Kasten der
Regimentskanzlei, zu dem er allein die Schlüssel hatte. Er legte die Skizzen
zu den andern Plänen, die er schon gemacht hatte, betreffend die große Parade
und das Offiziers- sowie das Mannschaftsturnier. Alle Pläne lagen in der Nähe
der großen, unheimlichen, versiegelten Umschläge, in denen die geheimen
Befehle für den Fall einer Mobilisierung geborgen waren.
Nachdem also Rittmeister Zschoch den genialen Einfall verkündet hatte,
unterbrach man die Stilisierung des Briefes an den Fürsten und machte sich
daran, gleichlautende Einladungen in alle vier Richtungen der Welt zu
verschicken. Diese knapp gehaltenen Einladungen erforderten weniger
literarische Bemühung und kamen auch innerhalb einiger Tage zustande. Es
gab nur ein paar Diskussionen über den Rang der Gäste. Denn zum
Unterschied vom Obersten Festetics war Graf Zschoch der Meinung, man
müßte die Einladungen der Reihe nach zuerst an die vornehmsten, hierauf an
die minder Vornehmen absenden. »Alle gleichzeitig!« sagte der Oberst. »Ich
befehle es Ihnen!« Und obwohl die Festetics zu den besten ungarischen
Familien gehörten, glaubte Graf Zschoch, aus dem Befehl auf eine blutmäßig
bedingte demokratische Neigung des Obersten schließen zu müssen. Er
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik