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rümpfte die Nase und versandte die Einladungen gleichzeitig.
Der Standesführer wurde befohlen. In seinen Händen befanden sich alle
Adressen der Reserveoffiziere und der in den Ruhestand Versetzten. Sie alle
wurden eingeladen. Eingeladen wurden ferner die näheren Verwandten und
die Freunde der Dragoneroffiziere. Diesen teilte man mit, daß es sich um eine
Probe für das hundertste Geburtstagsfest handle. Also gab man ihnen zu
verstehen, daß sie Aussicht hatten, mit dem Regimentsinhaber persönlich
zusammenzutreffen, dem reichsdeutschen Fürsten aus einer leider und
allerdings wenig ansehnlichen Nebenlinie. Manche von den Eingeladenen
waren von älterem Stamme als der Inhaber des Regiments. Sie hielten
trotzdem etwas von einer Berührung mit dem mediatisierten Fürsten. Man
beschloß, da es ein »Sommerfest« werden sollte, das Wäldchen des Grafen
Chojnicki in Anspruch zu nehmen. »Das Wäldchen« unterschied sich von den
Wäldern Chojnickis dadurch, daß es von der Natur selbst und von seinem
Besitzer für Feste bestimmt zu sein schien. Es war jung. Es bestand aus
kleinen und lustigen Fichtenstämmchen, es bot Kühlung und Schatten,
geebnete Wege und ein paar kleine Lichtungen, die offensichtlich zu nichts
anderem taugten, als von Tanzböden bedeckt zu werden. Man mietete also das
Wäldchen. Man bedauerte bei dieser Gelegenheit noch einmal die
Abwesenheit Chojnickis. Man lud ihn dennoch ein in der Hoffnung, daß er
einer Einladung zum Fest des Dragonerregiments nicht werde widerstehen
können und daß er sogar imstande sein würde, »ein paar charmante Menschen
mitzunehmen«, wie Festetics sich ausdrückte. Man lud die Hulins und die
Kinskys ein, die Podstatzkis und die Schönborns, die Familie Albert Tassilo
Larisch, die Kirchbergs, die Weißenhorns und die Babenhausens, die Sennyis,
die Benkyös, die Zuschers und die Dietrichsteins. Jeder von ihnen
hatte irgendeine Beziehung zu diesem Dragonerregiment. Als der Rittmeister
Zschoch noch einmal die Liste der Eingeladenen durchsah, sagte er:
»Donnerwetter, Himmelherrgottsakra!« Und er wiederholte diese originelle
Bemerkung ein paarmal. Es war schlimm, aber unvermeidlich, daß man zu
einem so großartigen Fest auch die schlichten Offiziere des Jägerbataillons
einladen mußte. Man wird sie schon an die Wand drücken! dachte der Oberst
Festetics. Genau das gleiche dachte auch der Rittmeister Zschoch. Während
sie die Einladungen an die Offiziere des Jägerbataillons diktierten, der eine
dem Gefreiten, der andere dem Zugsführer, sahen sie einander mit grimmigen
Augen an. Und jeder von ihnen machte den andern für die Pflicht
verantwortlich, das Bataillon der Jäger einzuladen. Ihre Gesichter erhellten
sich, als der Name des Freiherrn von Trotta und Sipolje fiel. »Schlacht bei
Solferino«, warf der Oberst hin, nebenbei. »Ah!« sagte Rittmeister Zschoch.
Er war überzeugt, daß die Schlacht bei Solferino bereits im sechzehnten
Jahrhundert stattgefunden hatte.
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik