Seite - 257 - in Radetzkymarsch
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Offizier vom Dienst holte sie ab. Die Aufregung in beiden Kasernen wuchs
von Stunde zu Stunde. In Brodnitzers Kaffeehaus hielten die Kavalleristen
mit den Fußtruppen Beratungen ab, aus nichtigen Gründen und lediglich zu
dem Zweck, die Unruhe noch zu vergrößern. Es war niemandem möglich,
allein zu bleiben. Die Ungeduld trieb einen zum andern. Sie flüsterten, sie
wußten plötzlich lauter merkwürdige Geheimnisse, die sie seit Jahren
verschwiegen hatten. Sie vertrauten einander rückhaltlos, sie liebten einander.
Sie schwitzten einträchtig in der gemeinsamen Erwartung. Das Fest verdeckte
den Horizont, ein mächtiger, feierlicher Berg. Alle waren überzeugt, daß es
nicht nur eine Abwechslung war, sondern daß es auch eine
völligeVeränderung ihres Lebens bedeutete. Im letzten Augenblick bekamen
sie Angst vor ihrem eigenen Werk. Selbständig begann das Fest freundlich zu
winken und gefährlich zu drohen. Es verfinsterte den Himmel, es erhellte ihn.
Man bürstete und bügelte die Paradeuniformen. Sogar der Hauptmann Lorenz
wagte in diesen Tagen keine Billardpartie. Die wohlige Gemächlichkeit, in
der er den Rest seines militärischen Lebens zu verbringen beschlossen hatte,
war zerstört. Er betrachtete seinen Paraderock mit mißtrauischen Blicken, und
er glich einem behäbigen Gaul, der seit Jahren im kühlen Schatten des Stalls
gestanden hat und der plötzlich gezwungen wird, an einem Trabrennen
teilzunehmen.
Der Sonntag brach schließlich an. Man zählte vierundfünfzig Gäste.
»Donnerwetter, Sapperlot!« sagte Graf Zschoch ein paarmal. Er wußte wohl,
in welch einem Regiment er diente, aber im Anblick der vierundfünfzig
klangreichen Namen auf der Liste der Gäste kam es ihm vor, daß er die ganze
Zeit nicht stolz genug auf dieses Regiment gewesen war. Um ein Uhr
nachmittags begann das Fest, mit einer einstündigen Parade auf dem
Exerzierplatz. Man hatte zwei Militärkapellen aus größeren Garnisonen
erbeten. Sie spielten in zwei hölzernen, runden, offenen Pavillons im kleinen
Wäldchen. Die Damen saßen in zeltüberdeckten Bagagewagen, trugen
sommerliche Kleider über steifen Miedern und rädergroße Hüte, auf denen
ausgestopfte Vögel nisteten. Obwohl es ihnen heiß war, lächelten sie, jede
eine heitere Brise. Sie lächelten mit den Lippen, den Augen, den Brüsten, die
hinter duftigen und festverrammelten Kleidern gefangen waren, mit den
durchbrochenen Spitzenhandschuhen, die bis an die Ellenbogen reichten, mit
den winzigen Taschentüchlein, die sie in der Hand hielten und mit denen sie
manchmal sachte, sachte an die Nase tupften, um sie nicht zu zerbrechen. Sie
verkauften Bonbons, Sekt und Lose für das Glücksrad, das vom Standesführer
eigenhändig behandelt wurde, und bunte Säckchen mit Konfetti, von dem sie
alle überschüttet waren und das sie mit neckisch gespitzten Mündern
wegzublasen versuchten. Auch an Papierschlangen fehlte es nicht. Sie
umwanden Hälse und Beine, hingen von den Bäumen herab und verwandelten
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik