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allgemeinen und ganz besonders als er selbst, als Individuum von
außergewöhnlicher Art, als Zschoch kurzweg. Seine kurzen, dichten
Augenbrauen stellten sich auf und bildeten zwei dräuende, gegen den Major
Zoglauer gerichtete Hecken aus kleinen, starrenden Stacheln. Seine großen,
törichten, hellen Augen, in denen sich alles zu spiegeln pflegte, was sie vor
Jahren aufgenommen haben mochten, selten das, was sie im Augenblick
sahen, schienen jetzt den Hochmut der Zschochschen Ahnen auszudrücken,
einen Hochmut aus dem fünfzehnten Jahrhundert. Er hatte den Blitz, den
Donner, die fürchterliche Nachricht, alle Ereignisse der vergangenen Minuten
beinahe vergessen. In seiner Erinnerung bewahrte er nur noch die
Anstrengungen, die er für das Fest, seinen genialen Einfall, unternommen
hatte. Er konnte auch nicht viel vertragen, er hatte Sekt getrunken, und sein
kleines Sattelnäschen schwitzte ein wenig.
»Die Nachricht ist nicht wahr«, sagte er, »sie ist halt nicht wahr. Es soll mir
einer nachweisen, daß es wahr ist, blöde Lüge, dafür spricht schon allein das
Wort ›gerüchtweise‹ oder ›wahrscheinlich‹ oder wie das politische Zeug
heißt!«
»Auch ein Gerücht genügt!« sagte Zoglauer.
Hier mischte sich Herr von Babenhausen, Rittmeister der Reserve, in den
Zwist. Er war angeheitert, fächelte sich mit dem Taschentuch, das er bald in
den Ärmel steckte, bald wieder hervorzog. Er löste sich von der Wand, trat an
den Tisch und kniff die Augen zusammen:
»Meine Herren«, sagte er, »Bosnien ist weit von uns entfernt. Auf Gerüchte
geben wir nix! Was mich betrifft, ich pfeif auf Gerüchte! Wann’s wahr is,
werden wir’s eh früh genug erfahren!«
»Bravo!« rief Baron Nagy Jenö, der von den Husaren. Er hielt, obwohl er
zweifellos von einem jüdischen Großvater aus Ödenburg abstammte und
obwohl erst sein Vater die Baronie gekauft hatte, die Magyaren für eine der
adligsten Rassen der Monarchie und der Welt, und er bemühte sich mit
Erfolg, die semitische, der er entstammte, zu vergessen, indem er alle Fehler
der ungarischen Gentry annahm.
»Bravo!« wiederholte er noch einmal. Es war ihm gelungen, alles, was der
nationalen Politik der Ungarn günstig oder abträglich erschien, zu lieben
beziehungsweise zu hassen. Er hatte sein Herz angespornt, den Thronfolger
der Monarchie zu hassen, weil es allgemein hieß, er sei den slawischen
Völkern günstig gesinnt und den Ungarn böse. Der Baron Nagy war nicht
eigens zu einem Fest an der verlorenen Grenze aufgebrochen, um es sich hier
durch einen Zwischenfall stören zu lassen. Er hielt es überhaupt für einen
Verrat an der magyarischen Nation, wenn sich einer ihrer Angehörigen die
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik