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Radetzkymarsch
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Fenstern und dazwischen hie und da das Knirschen von vorübergehenden Füßen auf dem Kies. Es schien dem Kaiser abwechselnd, daß die Geräusche sehr fern waren und sehr nahe. Manchmal erkannte er, daß der Regen das sanfte Rieseln vor dem Fenster verursachte. Bald darauf aber vergaß er, daß es der Regen war. Und er fragte ein paarmal seinen Leibarzt: »Warum säuselt es so?« Denn er konnte nicht mehr das Wort »rieseln« hervorbringen, obwohl es ihm auf der Zunge lag. Nachdem er aber nach dem Grund des Säuselns gefragt hatte, glaubte er in der Tat, lediglich ein »Säuseln« zu hören. Es säuselte der Regen. Es säuselten auch die Schritte vorbeigehender Menschen. Das Wort und auch die Geräusche, die es für ihn bezeichnete, gefielen dem Kaiser immer besser. Im übrigen war es gleichgültig, was er fragte, denn man hörte ihn nicht mehr. Er bewegte nur die Lippen, aber ihm selbst schien es, daß er spreche, allen hörbar, wenn auch ein wenig leise, nicht anders jedoch als in den letzten Tagen. Zuweilen wunderte er sich darüber, daß man ihm nicht antwortete. Bald darauf aber vergaß er sowohl seine Fragen als auch seine Verwunderung über die Stummheit der Befragten. Und wieder ergab er sich dem sanften »Säuseln« der Welt, die rings um ihn lebte, indes er starb – und er glich einem Kinde, das jeden Widerstand gegen den Schlaf aufgibt, bezwungen vom Schlaflied und in diesem eingebettet. Er schloß die Augen. Nach einer Weile aber öffnete er sie wieder und erblickte das einfache, silberne Kreuz und die blendenden Kerzen auf dem Tisch, die den Priester erwarteten. Und da wußte er, daß der Pater bald kommen würde. Und er bewegte seine Lippen und begann, wie man ihn gelehrt hatte als Knaben: »In Reue und Demut beichte ich meine Sünden –« Aber auch das hörte man nicht mehr. Übrigens sah er gleich darauf, daß der Kapuziner schon da war. »Ich hab’ lang warten müssen!« sagte er. Dann überlegte er seine Sünden. »Hoffart!« fiel ihm ein. »Hoffärtig war ich halt!« sagte er. Eine Sünde nach der andern ging er durch, wie sie im Katechismus standen. Ich bin zu lange Kaiser gewesen! dachte er. Aber es kam ihm vor, daß er es laut gesagt hatte. »Alle Menschen müssen sterben. Auch der Kaiser stirbt.« Und es war ihm zugleich, als stürbe irgendwo, weit von hier, jener Teil von ihm, der kaiserlich gewesen war. »Der Krieg ist auch eine Sünde!« sagte er laut. Aber der Priester hörte ihn nicht. Franz Joseph wunderte sich aufs neue. Jeden Tag kamen die Verlustlisten, seit 1914 dauerte der Krieg. »Schluß machen!« sagte Franz Joseph. Man hörte ihn nicht. »Wär’ ich nur bei Solferino gefallen!« sagte er. Man hörte ihn nicht. Vielleicht, dachte er, bin ich schon tot und rede als ein Toter. Deshalb verstehen sie mich nicht. Und er schlief ein. Draußen unter dem niederen Gesinde wartete Herr von Trotta, der Sohn des Helden von Solferino, den Hut in der Hand, im ständig niederrieselnden Landregen. Die Bäume im Schönbrunner Park rauschten und raschelten, der Regen peitschte sie, sacht, geduldig, ausgiebig. Der Abend kam. Neugierige 292
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Radetzkymarsch
Titel
Radetzkymarsch
Autor
Joseph Roth
Datum
1932
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
294
Schlagwörter
Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
Kategorien
Weiteres Belletristik

Inhaltsverzeichnis

  1. Teil 1 3
    1. Kapitel 1 5
    2. Kapitel 2 20
    3. Kapitel 3 31
    4. Kapitel 4 45
    5. Kapitel 5 53
    6. Kapitel 6 69
    7. Kapitel 7 81
    8. Kapitel 8 100
  2. Teil 2 111
    1. Kapitel 1 112
    2. Kapitel 2 122
    3. Kapitel 3 136
    4. Kapitel 4 153
    5. Kapitel 5 167
    6. Kapitel 6 178
    7. Kapitel 7 191
  3. Teil 3 202
    1. Kapitel 1 203
    2. Kapitel 2 219
    3. Kapitel 3 236
    4. Kapitel 4 251
    5. Kapitel 5 272
    6. Kapitel 6 281
  4. Epilog 288
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