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Dichtung 625
Charakteristik
Namen anderer Beiträger wie Pietro Metastasio und Voltaire nicht durchzusetzen
vermochte, ist der Text nur hs. erhalten.3
Nach Musenanruf und Themenangabe bittet der Autor Maria Theresia in ihrer Funktion
als Patronin der Künste um Inspiration und Aufmerksamkeit (Bl. 1rv). Gott schuf die Welt
und gab den Dingen die Fähigkeit, sich selbst zu vermehren ; dann schuf er die Geistwesen
und verlieh dem Geist eine vergleichbare Fruchtbarkeit (Bl. 1v–2r) : Aus wenigen Axiomen
(z.B. „Gegensätze schließen sich aus“) entwickelt dieser die Wissenschaften, schließt auf
die Existenz Gottes und die eigene Unsterblichkeit (Bl. 2r–3v), was ihn wiederum zu ethi-
schem Verhalten und Gesetzesfurcht hinführt. Würde nur die Vernunft ihn beherrschen,
nicht auch die Emotionen, so bräuchte man keine Gesetze und die milde Herrscherin
müsste niemals strafen (Bl. 3v–4r). Noch verderblicher als die Emotionen sind Faulheit und
schlechte Erziehung, die das ganze gesellschaftliche Gefüge zum Einsturz bringen können
(Bl. 4rv). Als Gegenmittel kommt dem Unterricht in der Logik große Bedeutung zu. Ihr
Name stammt vom griechischen lógos („Wort“), weil Denken und Reden zueinander in
enger Beziehung stehen ; sie zeigt dem Denken den rechten Weg (Bl. 4v–5r). Es folgt eine
Geschichte der Logik von ihrer Erfindung durch die Eleaten über die elenchische Technik
des Sokrates und die nachfolgenden antiken Philosophen bis zu den ‚Modernen‘, z.B. Tho-
mas von Aquin, Vives, Descartes, Gassendi (Bl. 5r–7r). Die Logik ist die Richtschnur, an
der sich jeder Wissenschaftler orientieren kann (Bl. 7rv). Der Dichter vergleicht seinen bil-
dungsfeindlichen Aufenthaltsort Bozen (vgl. Heiss, H. 2004) mit dem glücklichen Wien,
wo Maria Theresia der Universität einen neuen, prächtigen Sitz gestiftet hat (Bl. 7v–8r).
Das gut 460 Hexameter umfassende Gedicht weist eine klare, symmetrische Struk-
tur auf, die von Maria Theresia ausgeht und zu ihr zurückkehrt und dazwischen in
zwei durch ein Binnenproömium voneinander abgesetzten Hauptteilen der Logik
ihre Stellung im Weltgeschehen zuweist und ihre historische Entwicklung darstellt.
(Ihre technische Seite wird nur gestreift.) Die in der lat. Tradition v.a. durch Ver-
gils Georgica begründete Verbindung des didaktischen Epos mit der Panegyrik, die
durch diesen Aufbau formal unterstrichen wird, leuchtet auch inhaltlich ein : Ma-
ria Theresia erscheint aufgrund ihrer aufklärerischen Bildungs- und Kulturpolitik
als die ideale Adressatin eines Gedichts über den Nutzen des richtigen Denkens,
das wiederholt prononciert aufklärerische Positionen vertritt, z.B. indem es den
bei den Aufklärern generell populären Epikur (vgl. Kimmich 1999, 990–993) aus-
führlich behandelt und dabei nur milde tadelt (Bl. 6rv). Der letztgenannte Punkt
wiederum steht in Einklang mit dem Umstand, dass Graser sich in literarischer
3 Derzeit sind sechs Hs. bekannt (Walser 2011, 44–46). Den folgenden Ausführungen liegt BCT, ms.
870 zugrunde.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 2
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 728
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773) Epochenbild (Lav Šubarić) 610
- Dichtung (Martin Korenjak) 620
- Theater (Stefan Tilg) 660
- Beredsamkeit, Dialog, Rhetorik (Florian Schaffenrath) 701
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić/Florian Schaffenrath/Patrik Kennel) 726
- Biographisches Schrifttum (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 778
- Brief (Wolfgang Kofler) 788
- Sprachdidaktik, Poetik, Philologie (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 797
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 807
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 833
- Medizin (Lukas Oberrauch) 862
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne/Erika Kustatscher) 875
- Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848 Epochenbild (Florian Schaffenrath) 909
- Dichtung (Florian Schaffenrath) 918
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 941
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath/Erika Kustatscher) 953
- Biographisches Schrifttum (Patrik Kennel/Martin Korenjak) 980
- Brief (Wolfgang Kofler) 989
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 998
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 1022
- Medizin (Lav Šubarić) 1046
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 1056
- Von der Revolution 1848 bis heute Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 1073
- Dichtung (Stefan Tilg) 1079
- Prosa (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 1109
- Abkürzungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1159
- Bibliothekssiglen (Johanna Luggin) 1161
- Bibliographie (Johanna Luggin) 1162
- Abbildungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1265
- Index nominum (Johanna Luggin) 1271
- Index geographicus (Johanna Luggin/Simon Wirthensohn) 1299
- Index rerum (Johanna Luggin) 1310
- Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 1322