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648 Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773)
Pruner,
De partu virginis in der Kirche (15–20). Da die einzelnen Szenen und Ereignisse jeweils nicht nur
beschrieben, sondern auch konzis erklärt werden mussten und gleichzeitig ihre
räumliche Anordnung und zeitliche Abfolge zu beachten war, stand der Autor hier
vor einer anspruchsvollen Aufgabe. Die Festbeschreibung erscheint auch dadurch
als Höhepunkt des Gedichts, dass sich in ihr der Erzähler vom epischen Bericht-
erstatter25 zum Augenzeugen wandelt, der gleichzeitig sieht und erzählt, sich von
unerwarteten Wendungen des Geschehens überraschen lässt (z.B. 17 ; dum loquor,
ecce […], „Während ich spreche, sieh da […]“) und so den Leser mitten in die-
ses hineinversetzt. Auch Wolffs oft paradoxe Formulierungskunst steht ganz im
Dienst der Überhöhung der Feierlichkeiten ; so zeigt er sich etwa von der Fülle des
Geschauten wie folgt überwältigt : […] ipsa / (Quis credat) verbis inopem me copia
reddit. (12 ; „Wer könnte das glauben ? Die Fülle selbst macht, dass mir die Worte
ausgehen.“) Dem heutigen Leser erscheint der Triumphus streckenweise als verwir-
rendes Durcheinander aus immer neuen Bildern und Szenen. Dem zeitgenössi-
schen Innsbrucker dagegen, der die Festlichkeiten als Augenzeuge miterlebt hatte
und an sie wohl mit Stolz und Begeisterung zurĂĽckdachte, konnte er durchaus
helfen, sie vor seinem geistigen Auge wiedererstehen zu lassen – womöglich noch
prächtiger, als sie in Wirklichkeit gewesen waren.
Ein Unikum sind schlieĂźlich die drei BĂĽcher De partu Virginis des Trientner
Geistlichen Giuseppe Pruner (ca. 1695–1779 ; vgl. Tovazzi, Nr. 404 ; Gasser 3, 117),
eine Umarbeitung des gleichnamigen berĂĽhmten Epos von Jacopo Sannazaro, die
der Autor 1744 in Trient publiziert und seinem Gönner Antonio Loria, podestà von
Rovereto, gewidmet hat (Schaffenrath 2012). Handlungs- und Gedankengang des
Vorbilds sind sorgsam bewahrt, meist sogar dort, wo Sannazaro Anleihen bei der
heidnischen Mythologie macht (vgl. etwa den Nymphenkatalog San. 3,285–297
mit Prun. 3,401–421), die schon bald nach Erscheinen seines Werks als anstößig
empfunden wurden (Prandi 2001, 52–57). Der Wortlaut wird jedoch durchgehend
geändert, wobei sich als übergreifende Tendenzen ein Streben nach leichterer Ver-
ständlichkeit (u.a. durch Namensnennung der bei Sannazaro stets umschriebenen
christlichen Figuren) und größerer Expressivität sowie als Folge aus beidem eine
Amplifizierung der Vorlage (aus insgesamt 1443 werden 1953 Verse) feststellen las-
sen. Wie Pruner im Detail vorgeht, zeigt etwa die folgende Beschreibung des Si-
meon, der im Tempel von Jerusalem im kleinen Christus den Erlöser erkennt (nach
Lk 2,25–35) :
25 Diese Haltung wird allerdings schon zuvor einmal paradox-effektvoll durchbrochen. Als die refor-
mierten Dresdner das Bild zerstören wollen, fährt sie der Erzähler in einer empörten Apostrophe an,
was Wirkung zeigt : Audior („Man hört mich“) – die Frevler lassen von ihrem Beginnen ab (2).
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 2
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 728
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773) Epochenbild (Lav Šubarić) 610
- Dichtung (Martin Korenjak) 620
- Theater (Stefan Tilg) 660
- Beredsamkeit, Dialog, Rhetorik (Florian Schaffenrath) 701
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić/Florian Schaffenrath/Patrik Kennel) 726
- Biographisches Schrifttum (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 778
- Brief (Wolfgang Kofler) 788
- Sprachdidaktik, Poetik, Philologie (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 797
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 807
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 833
- Medizin (Lukas Oberrauch) 862
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne/Erika Kustatscher) 875
- Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848 Epochenbild (Florian Schaffenrath) 909
- Dichtung (Florian Schaffenrath) 918
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 941
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath/Erika Kustatscher) 953
- Biographisches Schrifttum (Patrik Kennel/Martin Korenjak) 980
- Brief (Wolfgang Kofler) 989
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 998
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 1022
- Medizin (Lav Šubarić) 1046
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 1056
- Von der Revolution 1848 bis heute Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 1073
- Dichtung (Stefan Tilg) 1079
- Prosa (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 1109
- AbkĂĽrzungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1159
- Bibliothekssiglen (Johanna Luggin) 1161
- Bibliographie (Johanna Luggin) 1162
- Abbildungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1265
- Index nominum (Johanna Luggin) 1271
- Index geographicus (Johanna Luggin/Simon Wirthensohn) 1299
- Index rerum (Johanna Luggin) 1310
- Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 1322