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Theater 671
aufklärerisches
Paradigma
Ulysses et Penelope
zigen Heiligen oder Märtyrer im Zentrum des Geschehens ist aber auffällig. Zu-
mindest das Leben christlicher Herrscher bleibt allerdings bis zum Ende des Inns-
brucker Jesuitendramas ein attraktives Thema, z.B. jenes von David Komnenos (ca.
1408–1453), des letzten Kaisers von Trapezunt (David Comnenus ; Innsbruck 1760).
Das dezidiert sakralgeschichtliche Modell wird im 18. Jh. von einem neuen, bür-
gerlich-aufklärerischen abgelöst. Die Protagonisten kämpfen nicht mehr so sehr für
ihr Seelenheil als für Familie, Vaterland und Staat. Die Gründe dafür sind vielfältig :
Grundsätzlich ist der im Einzelnen schwer fassbare Zeitgeist der Aufklärung zu
berücksichtigen, der sich u.a. in der Propagierung eines natürlichen – nicht mehr
spezifisch christlich-katholischen – Sittengesetzes manifestierte. Das Jesuitendrama
hat sich zwar kaum bewusst aufklärerische Grundsätze zu Eigen gemacht, hat sich
aber zu einem gewissen Grad den neuen Denkweisen und Verhältnissen ange-
passt (vgl. Szarota 1981). Im Übrigen stimmt diese Entwicklung gut mit den etwa
gleichzeitigen staatlichen Bestrebungen nach einer „Nationalerziehung“ überein,
die besonders im Vielvölkerstaat Österreich ein Desiderat war (vgl. Grimm 1987,
38–134). Ein konkreter Grund für die stoffliche Neuorientierung des Jesuitendra-
mas könnte die in der oberdeutschen Jesuitenprovinz 1726 erfolgte Einführung des
Geschichtsunterrichts sein. Bisher wurde Geschichte v.a. im Rahmen des Lat.- und
Religionsunterrichts gelehrt. Nun wurde sie zu einem eigenen Schulfach, für das es
auch ein eigenes Lehrbuch gab.11 Schließlich gibt es noch eine Reihe möglicher lo-
kalspezifischer Ursachen : Verbürgerlichung und Orientierung am staatlichen Mo-
dell wurden deshalb leichter, weil seit 1717 kein Statthalter mehr in Tirol residierte,
das Land also keinen Hof mehr besaß und sich verstärkt als Teil des Gesamtstaates
zu begreifen hatte. Der bedeutendste Innsbrucker Dramaturg des 18. Jhs., Anton
Claus, der sich in seiner Poetik bewusst an die Antike und den französischen Klas-
sizismus anlehnte (s.u.), dürfte eine gewisse Vorbildwirkung entfaltet haben. Und
schließlich sei auch noch auf den großen Erfolg hingewiesen, den die Innsbrucker
Spielleiter mit den neuen Stoffen bis zuletzt hatten und der eine Rückkehr zu sak-
ralgeschichtlichen Themen wohl nicht empfahl.
Das erste Innsbrucker Stück, das ganz in der heidnischen Antike spielt, ist das
1728 aufgeführte Drama von Odysseus und Penelope. Der Periochentitel lautet
(man beachte den für diese Zeit charakteristischen Untertitel, der die Moral in
einem allgemeinen Satz zusammenfasst) : Ulysses et Penelope, haec servatae fidei co-
niugalis, ille ob eandem violatam divinae iustitiae illustre exemplum / Das ist : Ulysses
und Penelope, dise ein herrliches Beyspihl der standhafft gehaltenen ehelichen Treu,
jener der Göttlichen Gerechtigkeit wegen seiner Boßheit und gebrochenen ehelichen Treu
11 Maximilian Dufrène, Rudimenta historica („Anfangsunterricht der Geschichte“, 6 Bde.; Bratislava
1727 u.ö) ; vgl. Pachtler 1894, 107–118 ; Koch 1934, s.v. „Dufrène“ und „Geschichtsunterricht“.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 2
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 728
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773) Epochenbild (Lav Šubarić) 610
- Dichtung (Martin Korenjak) 620
- Theater (Stefan Tilg) 660
- Beredsamkeit, Dialog, Rhetorik (Florian Schaffenrath) 701
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić/Florian Schaffenrath/Patrik Kennel) 726
- Biographisches Schrifttum (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 778
- Brief (Wolfgang Kofler) 788
- Sprachdidaktik, Poetik, Philologie (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 797
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 807
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 833
- Medizin (Lukas Oberrauch) 862
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne/Erika Kustatscher) 875
- Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848 Epochenbild (Florian Schaffenrath) 909
- Dichtung (Florian Schaffenrath) 918
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 941
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath/Erika Kustatscher) 953
- Biographisches Schrifttum (Patrik Kennel/Martin Korenjak) 980
- Brief (Wolfgang Kofler) 989
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 998
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 1022
- Medizin (Lav Šubarić) 1046
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 1056
- Von der Revolution 1848 bis heute Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 1073
- Dichtung (Stefan Tilg) 1079
- Prosa (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 1109
- Abkürzungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1159
- Bibliothekssiglen (Johanna Luggin) 1161
- Bibliographie (Johanna Luggin) 1162
- Abbildungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1265
- Index nominum (Johanna Luggin) 1271
- Index geographicus (Johanna Luggin/Simon Wirthensohn) 1299
- Index rerum (Johanna Luggin) 1310
- Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 1322