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Beredsamkeit 949
Vannettis
Leichenreden
suetonischer
Aufbau
konnte jedes willige Mitglied über ein beliebiges Thema referieren. Während sich
fünf Leichenreden von Clementino Vannetti (vgl. hier S. 694) und Giovanni P.
Beltrami erhalten haben, können wir uns von den Literaturberichten in erster Linie
aufgrund einer Publikation Vannettis eine Vorstellung machen ; ein Beispiel für ei-
nen Akademievortrag ist Lorenzis schon erwähnte Rede De amicitia. Im Folgenden
werden zuerst Vannettis, dann Beltramis Beiträge behandelt.
Von Vannettis beiden Leichenreden sei hier die auf Giovanni Maria Biagi (1724–
1777, vgl. hier S.
636) besprochen, die kurz nach dessen Tod vorgetragen, aber erst
1789 in Modena gedruckt wurde. Die 1776 entstandene, nur hs. (TLMF, Dip.
791/7 und BCR, ms. 8.32) erhaltene Rede auf Gerolamo Federicotti steht ihrem
Gegenstand insgesamt weniger kritisch gegenüber, zeigt aber den gleichen Aufbau.
Dass dies im Wesentlichen auch für die meisten von Vannettis nicht als Reden
vorgetragenen commentarii und commentariola (vgl. z.B. hier S. 982) gilt, weist
schon darauf hin, dass die Leichenrede sich hier weit von ihren bis in die Barockzeit
geläufigen Formen entfernt hat.
Die Rede auf Biagi beschreibt als erstes (§§ I–IV) dessen Werdegang von seiner niede-
ren Herkunft über die Schulzeit in Rovereto, den Antritt einer Stelle als Grammatiklehrer
ebendort und die Priesterweihe bis zur Aufnahme in die Accademia und andere Vereine.
Die §§ V–X sind abgesehen von Biagis Wirken als Rhetoriklehrer (wozu er zwischenzeit-
lich ernannt wurde) seinen Schriften gewidmet ; im Anschluss hieran sprechen die §§
XI–
XV von Biagis Tugenden, seiner Beliebtheit unter den Mitbürgern, seiner schwachen Ge-
sundheit und seinem Äußeren. In § XV wird kurz sein Tod erzählt.
Offenkundig orientiert sich dieser Aufbau nicht mehr direkt an genuin rhetorischen
Modellen. Es fehlen weitgehend die dort konstitutiven Themen Klage und Trost.
Der Dreischritt „chronologischer Bericht des Werdegangs – thematisch struktu-
rierte Würdigung des Wirkens und des Charakters – Tod“ ist vielmehr von der
Disposition der suetonischen Kaiserviten inspiriert.7 Die einzige, sachlich bedingte,
Abweichung von Suetons Schema besteht darin, dass im zweiten Teil besonderes
Gewicht auf die schriftstellerische Tätigkeit gelegt wird.
7 Allerdings greifen diese ihrerseits z.T. enkomiastische Vorbilder auf (Steidle 1963, 126–177). Die
Leichenreden der Agiati stellen so gesehen ein spätes Kapitel in der langen Geschichte der Wechsel-
wirkung zwischen Biographie und Enkomiastik dar. – Dass die konventionelle Leichenrede andern-
orts durchaus noch existierte, zeigt etwa die 1787 in Montefalco gehaltene und publizierte Laudatio
funebris des Giovanni Angelo Meconi auf den Auslandstiroler Benedetto Bonelli d.J. (1757–1787 ;
vgl. Abb. 153), den Neffen des gleichnamigen berühmten Onkels, die dem in Trient lebenden Vater
des Toten gewidmet ist und auch einige lobende Bemerkungen über diese Stadt enthält (VII).
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 2
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 728
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773) Epochenbild (Lav Šubarić) 610
- Dichtung (Martin Korenjak) 620
- Theater (Stefan Tilg) 660
- Beredsamkeit, Dialog, Rhetorik (Florian Schaffenrath) 701
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić/Florian Schaffenrath/Patrik Kennel) 726
- Biographisches Schrifttum (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 778
- Brief (Wolfgang Kofler) 788
- Sprachdidaktik, Poetik, Philologie (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 797
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 807
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 833
- Medizin (Lukas Oberrauch) 862
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne/Erika Kustatscher) 875
- Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848 Epochenbild (Florian Schaffenrath) 909
- Dichtung (Florian Schaffenrath) 918
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 941
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath/Erika Kustatscher) 953
- Biographisches Schrifttum (Patrik Kennel/Martin Korenjak) 980
- Brief (Wolfgang Kofler) 989
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 998
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 1022
- Medizin (Lav Šubarić) 1046
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 1056
- Von der Revolution 1848 bis heute Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 1073
- Dichtung (Stefan Tilg) 1079
- Prosa (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 1109
- Abkürzungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1159
- Bibliothekssiglen (Johanna Luggin) 1161
- Bibliographie (Johanna Luggin) 1162
- Abbildungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1265
- Index nominum (Johanna Luggin) 1271
- Index geographicus (Johanna Luggin/Simon Wirthensohn) 1299
- Index rerum (Johanna Luggin) 1310
- Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 1322