Die Gegenstände werden lebendig #
Im Herzen des Silicon Valley wurde die Idee vernetzter Objekte geboren, um den Menschen zu entlasten. Doch das Internet der Dinge könnte auch strapaziös werden. #
Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: DIE FURCHE (Donnerstag, 30. März 2017)
Von
Martin Tauss
Alles wird smart. Die Dinge erhalten ein Eigenleben, sie werden vernetzt und aufgerüstet. Allein im Haushalt könnte dies zu einigen Umwälzungen führen. Technologie-Visionäre und Gerätehersteller werden nicht müde, die kühnen Szenarien dieser Aufrüstung zu bewerben.
Da gibt es Kühlschränke, die ganz von selbst das Ablaufdatum der in ihnen gelagerten Lebensmittel überprüfen. Wird die Haltbarkeit überschritten, schlagen sie Alarm. Waschmaschinen und Geschirrspüler können aus der Ferne programmiert und gestartet werden. Da gibt es Kochtöpfe, die dem Nutzer mitteilen, wann welche Zutat hineinkommen muss, damit alles gleichmäßig durchgegart ist. Der Thermostat ist lernfähig geworden und weiß über einen Bewegungssensor, ob sich noch jemand in der Nähe befi ndet oder ob er die Temperatur schon herunterfahren kann. Er reagiert auf Wetterinformationen im Internet oder auf die Befehle des Hausherren, der gerade am Rückweg vom Urlaub ist. Und zwischen all den smarten Geräten gibt es eine zentrale Schnittstelle: Über das Smartphone können alle Vorrichtungen gesteuert werden, die in das Heimnetzwerk eingebunden sind.
Neue Services und Produkte #
Am 27. und 28. März fand im Wiener Rathaus das fünfte Jahresforum für das Internet der Dinge statt. Dort sollten die Besucher durch Praxisbeispiele „hautnah erleben“, wie smarte Konzepte in fast jedem Wirtschaftszweig Anwendung fi nden können. Neue Services, Produkte, Geschäftsmodelle und Marketingmöglichkeiten erscheinen am Horizont. Wie die smarten Geräte im Haushalt angenommen werden, bleibt aber abzuwarten. Eine aktuelle Umfrage von Integral Marktforschung mit einer Stichprobe von 1000 Österreichern deutet darauf hin, dass die Mög lichkeiten der Fernsteuerung derzeit eher skeptisch gesehen werden. Nur ein Drittel findet smarte Technologien generell positiv; der clevere Kühlschrank erscheint nur jedem Fünften attraktiv.
Wie immer man zu der viel zitierten „smarten Revolution“ steht – unbestritten ist, dass die Geschichte der Computernutzung nun offensichtlich in eine neue Phase tritt. Begonnen hat alles mit riesigen Anlagen, die von Experten hinter verschlossenen Türen bedient wurden. Rechenkraft war bis in die 1980er-Jahre eine rare Ressource und musste mit einer Menge anderer Menschen geteilt werden, so die Computerforscher Mark Weiser und John S. Brown, die diese erste Phase als „Mainframe“-Ära bezeichnet haben. Dann eroberte der „Personal Computer“ (PC) die Büros und Wohnungen der Menschen. Im Jahr 1984 überstieg die Anzahl der Menschen, die einen PC besaßen, die Zahl jener, die sich Computer in der Nutzung teilten. Für viele war und ist der PC eine ganz besondere Maschine: „Die PCBeziehung ist persönlich, vielleicht sogar intim“, bemerken Weiser und Brown. „Man besitzt seinen eigenen Computer, der persönliche Daten speichert und mit dem direkt und tiefgreifend interagiert werden kann.“ Es soll nicht wenige Menschen geben, die ihrem Computer einen Namen geben, sich bei ihm beschweren, ihn mitunter auch verfluchen und malträtieren.
Doch wiewohl der PC heute aus unserem Arbeitsalltag und Privatleben nicht wegzudenken ist, hat das Internet als weltumspannendes Medium eine neue Phase eingeläutet. Das Zeitalter der ubiquitären Computernutzung steht unmittelbar bevor, prognostizierten Weiser und Brown in einem Artikel von 1996 (publiziert in Sprenger & Engemann, 2015): „In dieser Ära werden wir Computer teilen. Einige davon werden die vielen hundert Computer sein, die wir innerhalb weniger Minuten des Browsens im Internet aufrufen. Weitere Computer werden in Wände, Sessel, Kleider, Lichtschalter oder Autos eingebettet sein – in alles.“ Die Dinge der Welt werden durch die Rechenkraft der Maschinen verbunden sein, so die Autoren. Dies werde auch den mikroskopischen Maßstab betreffen.
Prophet der Vernetzung #
Bereits früher hatte sich Mark Weiser, der philosophisch interessierte Computerfreak, Gedanken über den Computer für das 21. Jahrhundert gemacht: „Die profundesten Technologien sind jene, die verschwinden“, schrieb er 1991. „Sie verweben sich mit dem Stoff des Alltags, bis sie nicht mehr davon zu unterscheiden sind.“ Weiser war Leiter des Computer-Forschungslabors am einfl ussreichen Xerox Palo Alto Research Center im Herzen des Silicon Valley. Von dort gingen Erfi ndungen mit nachhaltigem Erfolg um die Welt: vom Laserdrucker über das Ethernet bis zur Computermaus. Doch der innovative Techniker dachte weiter voraus. Bis heute gilt er als „Prophet der Vernetzung der Dinge“ (F. Sprenger).
Aus heutiger Sicht erscheint eine Re-Lektüre seiner wegweisenden Texte auch deshalb interessant, weil darin ein neues Verhältnis von Mensch und Technik angedacht wird, das fernab von den technoiden Optimierungsfantasien des Transhumanismus (siehe Interview S. 6) angesiedelt ist. Die allgegenwärtigen, unscheinbar kleinen Computer sollen unsere Wahrnehmung nicht länger strapazieren, sondern entlasten, um einen entspannteren Zugang zur Welt zu ermöglichen. Ist die Benutzung des PCs typischerweise durch die „Aufregung der Interaktion“ geprägt, spricht Weiser hier von einer „Calm Technology“, einer sanften und beruhigenden Technologie. Die Computer-User sollen ihre Aufmerksamkeit schonen, aber zugleich die Kontrolle behalten. Die Maschinen bleiben im Hintergrund der Wahrnehmung. Gibt es den Wunsch, mit der Maschine zu interagieren, kann sie jederzeit ins Zentrum der Aufmerksamkeit geholt werden.
„Der Effekt der ‚Calm Technology‘ besteht darin, dass wir uns zu Hause fühlen, wie an einem vertrauten Ort“, so Weiser. Dahinter steht eine humanistisch inspirierte Vision: Wenn es möglich ist, während der Computernutzung auch etwas anderes tun zu können, gewinnt man Zeit, „um stärker ganz Mensch zu sein“. Die aktuelle Realität reicht offensichtlich noch nicht an diese Vision heran: Gleicht doch das Computerverhalten vieler Menschen einem Raubbau an ihren Aufmerksamkeitsressourcen. Tendenzielle Internet-Sucht oder eine problematische Fixierung auf das Smartphone sind zu einem weit verbreiteten Phänomen geworden.
Weg zur Kontrollgesellschaft #
Vieles von dem, was in der digitalen Welt von heute unter den Nägeln brennt, wird bei Weiser freilich nur unzureichend reflektiert: die politischen und ökonomischen Aspekte der technischen Durchdringung oder die Folgen der permanenten Überwachung, die aus dem Internet der Dinge resultieren kann, wie der Medienwissenschaftler Florian Sprenger im Theorieband „Internet der Dinge“ analysiert. Denn die Vernetzung der Gegenstände führt zu einem berechnenden Raum, in dem jedes Objekt eine eindeutige Adresse hat, mit der es lokalisiert und positioniert werden kann. Hier liegt es näher, auf einen Denker wie Gilles Deleuze zurückzugreifen: In seinen Überlegungen zur „Kontrollgesellschaft“ erschien ihm 1990 noch als „Science Fiction“, was das Internet der Dinge heute problemlos ermöglichen könnte: einen Kontrollmechanismus, „der in jedem Moment die Position eines Elements in einem offenen Milieu angibt, Tier in einem Reservat, Mensch in einem Unternehmen (elektronisches Halsband). Was zählt, ist (...) der Computer, der die – erlaubte oder unerlaubte – Position jedes einzelnen erfasst“.
Vielleicht aber haben bereits die Maya im alten Mexiko ein Gespür für künftige Entwicklungen gehabt. In ihrem Schöpfungsmythos findet sich die Geschichte, dass die Dinge lebendig werden und beginnen, die Menschen zu tyrannisieren. Haben sie da womöglich hellsichtig an smarte Toaster, Wasserkocher und Kondome (sic!) gedacht? Zu hoffen ist, dass diese Geschichte ein Mythos bleibt.
Das Internet der Dinge Hrsg. von Florian Sprenger und Christoph Engemann.
transcript Verlag, 2015.
396 Seiten, brosch., €29,99
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