Page - 40 - in Der Kampf mit dem Dämon - Hölderlin · Kleist · Nietzsche
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Phaeton oder die Begeisterung
O Begeisterung, so finden
Wir in Dir ein selig Grab,
Tief in deine Wogen schwinden
Still frohlockend, wir hinab,
Bis der Höre Ruf wir hören
Und, mit neuem Stolz erwacht,
Wie die Sterne, wiederkehren
In des Lebens kurze Nacht.
Für eine so heroische Mission, wie sie dem Dichter im Hölderlinschen
Mythos zugedacht ist, bringt der jugendliche Schwärmer eigentlich – warum
es künstlich verleugnen? – nur geringe poetische Begabung mit. Nichts in der
geistigen Haltung noch im dichterischen Duktus des Vierundzwanzigjährigen
kündigt Eigenpersönlichkeit deutsam an: die Formen seiner ersten Gedichte,
ja selbst einzelne Bilder, Symbole und selbst Worte sind in beinahe
unerlaubter Ähnlichkeit den Meistern seiner Tübinger Schulzeit entlehnt, den
Oden Klopstocks, den tönend hinrauschenden Hymnen Schillers, der
deutschen Prosodik Ossians. Seine dichterischen Motive sind arm, nur die
jugendliche Feurigkeit, mit der er sie in immer gesteigerten Variationen
wiederholt, täuscht über die Enge seines geistigen Horizontes hinweg. Seine
Phantasie wiederum schwelgt in einer vagen und doch gestaltlosen Welt: die
Götter, der Parnaß, die Heimat bilden dort den ewigen Traumkreis, selbst die
Worte, die Epitheta »himmlisch, göttlich« kehren in bedenklicher Monotonie
wieder. Noch unentwickelter ist seine Gedanklichkeit, durchaus von Schiller
und den deutschen Philosophen dependierend: erst später dunkelt aus der
Tiefe der Umnachtung geheimnisvolle Spruchrede, wie eines Sehers Aussage
nicht eigenen Geistes, sondern gleichsam des Weltgeistes orphische Rede.
Wichtigste Elemente der Gestaltung fehlen selbst in spurhafter Andeutung:
sinnlicher Blick, Humor, Menschenkenntnis, kurz alles, was vom irdischen
Bezirke stammt, und da Hölderlin aus beharrlichem Instinkt jede Vermengung
mit dem Leben abweist, steigert sich diese eingeborene Lebensblindheit zu
einem absoluten Traumzustand, zu einer idealen Ideologie der Welt. Salz und
Brot, Vielfalt und Farbe fehlen vollkommen der Substanz seines Gedichtes,
das unverweigerlich ätherisch, durchsichtig, gewichtlos bleibt und dem auch
die dunkelsten Jahre nur das geheimnisvoll stofflose Wesen von Wolken,
etwas Wehendes, Deutsames und Ahnungsvolles geben. Auch seine
Produktivität ist durchaus gering, häufig gehemmt von einer Ermattung des
Gefühls, einer dumpfen Melancholie, einer Verstörung der Nerven. Neben der
ursprünglichen saftvollen Fülle Goethes, in dessen Verse alle Kräfte und Säfte
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Der Kampf mit dem Dämon
Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Title
- Der Kampf mit dem Dämon
- Subtitle
- Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1925
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 202
- Keywords
- Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Vorwort 5
- Teil 1 - Hölderlin 15
- Die heilige Schar 17
- Kindheit 21
- Bildnis in Tübingen 26
- Mission des Dichters 29
- Der Mythus der Dichtung 34
- Phaeton oder die Begeisterung 40
- Ausfahrt in die Welt 46
- Gefährliche Begegnung 48
- Diotima 56
- Nachtigallengesang im Dunkeln 61
- Hyperion 63
- Der Tod des Empedokles 68
- Das Hölderlinsche Gedicht 74
- Sturz ins Unendliche 81
- Purpurne Finsternis 87
- Scardanelli 91
- Teil 2 - Heinrich von Kleist 95
- Teil 3 - Friedrich Nietzsche 143
- Tragödie ohne Gestalten 145
- Doppelbildnis 149
- Apologie der Krankheit 153
- Der Don Juan der Erkenntnis 161
- Leidenschaft der Redlichkeit 166
- Wandlungen zu sich selbst 172
- Entdeckung des Südens 178
- Flucht zur Musik 185
- Die siebente Einsamkeit 189
- Der Tanz über dem Abgrund 193
- Der Erzieher zur Freiheit 199