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Der Kampf mit dem Dämon - Hölderlin · Kleist · Nietzsche
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Page - 153 - in Der Kampf mit dem Dämon - Hölderlin · Kleist · Nietzsche

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Apologie der Krankheit Was mich nicht umbringt, macht mich stärker. Unzählbar die Schreie des gemarterten Körpers. Eine hundertstellige Tabelle aller körperlichen Notstände, und darunter der fürchterliche Schlußstrich: »In allen Lebensaltern war der Überschuß des Leidens ungeheuer bei mir.« Und tatsächlich, keine teuflische Marter fehlt in diesem schauerlichen Pandämonium der Krankheit: Kopfschmerzen, betäubende, hämmernde Kopfschmerzen, die für Tage den Taumelnden sinnlos hinschlagen auf Sofa und Bett, Magenkrämpfe mit blutigem Erbrechen, Migränen, Fieber, Appetitlosigkeiten, Müdigkeiten, Hämorrhoiden, Darmstockungen, Schüttelfröste, Nachtschweiß – ein grausiger Kreislauf. Dazu die »dreiviertelblinden Augen«, die bei der geringsten Anstrengung sofort anschwellen und zu tränen beginnen und dem geistigen Arbeiter nur »anderthalb Stunden Augenlicht täglich erlauben«. Aber Nietzsche verachtet diese Hygiene des Leibes und arbeitet zehn Stunden am Schreibtisch, und für dieses Übermaß rächt sich das überhitzte Gehirn mit rasenden Kopfschmerzen und einem nervösen Überlauf, denn es läßt sich, wenn abends der Leib längst müde geworden ist, nicht plötzlich abkurbeln, sondern wühlt weiter in Visionen und Gedanken, bis es mit Schlafmitteln gewaltsam betäubt wird. Aber immer größere Mengen sind notwendig (in zwei Monaten verbraucht Nietzsche fünfzig Gramm Chloral-Hydrat, um diese Handvoll Schlummer zu erkaufen) – dann weigert sich der Magen, seinerseits so hohen Preis zu zahlen, und revoltiert. Und nun – Circulus vitiosus – spasmisches Erbrechen, neue Kopfschmerzen, die neue Mittel erfordern, ein unerbittliches unersättliches leidenschaftliches Gegeneinander der aufgereizten Organe, die sich wechselseitig im tollen Spiel den Stachelball des Leidens zuschleudern. Nie ein Ruhepunkt in diesem Auf und Ab, nie eine flache Spanne Zufriedenheit, ein knapper Monat voll Behagen und Selbstvergessen; in zwanzig Jahren kann man sich kein Dutzend Briefe herauszählen, wo nicht aus irgendeiner Zeile ein Stöhnen bricht. Und immer rasender, immer wütiger werden die Schreie des von seinen überwachen, überzarten und schon entzündeten Nerven Gestachelten. »Mach es dir doch leichter; stirb!« ruft er sich zu, oder er schreibt: »Eine Pistole ist mir jetzt eine Quelle relativ angenehmer Gedanken« oder »die furchtbare und fast unablässige Marter läßt mich nach dem Ende dürsten, und nach einigen Anzeichen ist der erlösende Hirnschlag nahe«. Längst findet er für seine Leiden keine Superlative des Ausdrucks mehr, fast wirken sie schon monoton in ihrer Schrille und raschen Wiederholtheit, diese gräßlichen Schreie, die fast nichts Menschliches mehr 153
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Der Kampf mit dem Dämon Hölderlin · Kleist · Nietzsche
Title
Der Kampf mit dem Dämon
Subtitle
Hölderlin · Kleist · Nietzsche
Author
Stefan Zweig
Date
1925
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
202
Keywords
Literatur, Schriftsteller
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Vorwort 5
  2. Teil 1 - Hölderlin 15
    1. Die heilige Schar 17
    2. Kindheit 21
    3. Bildnis in Tübingen 26
    4. Mission des Dichters 29
    5. Der Mythus der Dichtung 34
    6. Phaeton oder die Begeisterung 40
    7. Ausfahrt in die Welt 46
    8. Gefährliche Begegnung 48
    9. Diotima 56
    10. Nachtigallengesang im Dunkeln 61
    11. Hyperion 63
    12. Der Tod des Empedokles 68
    13. Das Hölderlinsche Gedicht 74
    14. Sturz ins Unendliche 81
    15. Purpurne Finsternis 87
    16. Scardanelli 91
  3. Teil 2 - Heinrich von Kleist 95
    1. Der Gejagte 97
    2. Bildnis des Bildnislosen 100
    3. Pathologie des Gefühls 103
    4. Lebensplan 111
    5. Ehrgeiz 115
    6. Der Zwang zum Drama 119
    7. Welt und Wesen 125
    8. Der Erzähler 129
    9. Die letzte Bindung 133
    10. Todesleidenschaft 136
    11. Musik des Untergangs 140
  4. Teil 3 - Friedrich Nietzsche 143
    1. Tragödie ohne Gestalten 145
    2. Doppelbildnis 149
    3. Apologie der Krankheit 153
    4. Der Don Juan der Erkenntnis 161
    5. Leidenschaft der Redlichkeit 166
    6. Wandlungen zu sich selbst 172
    7. Entdeckung des Südens 178
    8. Flucht zur Musik 185
    9. Die siebente Einsamkeit 189
    10. Der Tanz über dem Abgrund 193
    11. Der Erzieher zur Freiheit 199
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