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Ãœberblick 41
Beschreibung der
Hs.
Inhalt
Der Anfang der 112 Blätter umfassenden Hs. und Teile von Binnenlagen sind
verloren ;20 bei der Bindung, die noch im Mittelalter erfolgte, wurden zudem einige
der Lagen falsch eingebunden, was u.a. zur Folge hatte, dass die Sammlung mit
der Fortuna-Miniatur (vgl. Farbtafel 3) eröffnet wird. Die in einer frühgotischen
Minuskel geschriebene Hs. ist mit Zierinitialen und acht Miniaturen ausgestattet,
die z.T. die Gliederung unterstreichen (zu einer ausführlichen Analyse der Hs. vgl.
Hilka/Schumann/Bischoff 1941–1970, Bd. 2,1, 3*–68*).
Im lat. Mittelalter dominiert die religiöse Dichtung gegenüber der weltlichen,
sodass dem Codex Buranus eine besondere Bedeutung zukommt, da es sich bei ihm
um die größte erhaltene Sammlung weltlicher mittellateinischer Lyrik handelt. Die
Stücke gliedern sich wie folgt in vier Hauptabschnitte :
I. CB 1–56 : moralisch-satirische Dichtungen zu verschiedenen Lastern (Habgier, Neid)
und Tugenden, dazwischen Fortuna-Klagen (CB 14–18a).
II. CB 57–186 : Liebeslieder : Liebesfreuden, „verkehrte Liebe“ (homosexuelle Liebe
CB 95, Inzest CB 97), Liebesklagen, Klagen verschiedenen Inhalts (z.B. über den Verfall
der Liebeskunst CB 105, über unerwünschte Schwangerschaft CB 126). Die mittellateini-
sche Liebesdichtung erfährt im 12. Jh. ein Hochblüte, die Dichter schulen sich an Ovid,
mit dem man sich nun eingehend beschäftigt, wie auch aus CB 191, Str. 18 (Archipoeta,
Carmen X), ersichtlich ist : nichil valent penitus, que ieiunus scribo, / Nasonem post calicem
carmine preibo („was ich nüchtern schreibe, ist hinten und vorne nichts wert, / wenn ich
aber getrunken habe, übertreffe ich mit meiner Dichtung Ovid“, Text und Übersetzung :
Vollmann 1987). Die Vorstellung von der „hohen Minne“, wie sie uns in der volkssprachli-
chen Dichtung entgegentritt, ist der weltlichen Lyrik des lat. Mittelalters fremd, Sexualität
hat ihren festen Platz in diesen Dichtungen (vgl. Wachinger 1985, 306).
III. CB 187–226 : Spieler-, Trink-, Schlemmer- und Vagantenlieder in Form von Satiren,
Epigrammen, Sprüchen und Parodien, wie etwa die Spielermesse (CB 215), eine Persiflage auf
die Hl. Messe durch Verfremdung der Originaltexte, jedoch in Nachahmung des Originals be-
züglich Aufbau (Introitus, Gebet, Lesung, Graduale, Sequenz, Evangelium, Offertorium und
Kommunionlied) und der durch Neumen angezeigten Melodien ; im Folgenden ein Auszug :
V. Evangelium : Sequentia falsi ewangelii secundum marcam argenti.
Fraus tibi Decie ! Cum sero esset una gens lusorum, venit Decius in medio eorum et dixit :
„Fraus vobis ! Nolite cessare ludere. Pro dolore enim vestro missus sum ad vos.“ Primas autem,
qui dicitur vilissimus, non erat cum eis, quando venit Decius. Dixerunt autem alii discipuli :
„Vidimus Decium.“ Qui dixit eis : „Nisi mittam os meum in locum peccarii, ut bibam, non
credam.“ Primas autem, qui dicitur vilissimus, iactabat decem, alius duodecim, tertius vero
quinque. Et qui quinque proiecerat, exhausit bursam et nudus ab aliis se abscondit.
20 Dass das Ende des Hauptteiles keinen Verlust erlitten hat, kann Drumbl 2003, 329–336 nachweisen.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- TYROLIS LATINA
- Subtitle
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Volume
- 1
- Authors
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Editor
- Karlheinz Töchterle
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 602
- Keywords
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Ãœberblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593