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Dichtung 77
Pinacedion
hs. erhaltene
Gedichte
der Sphragis, in der Aemilianus sich als Autor zu erkennen gibt und Simon um Für-
sprache bei Gott bittet, um eine Prosopopöie des Simonknaben, der, anknüpfend
an den Titelholzschnitt des Drucks, sein Martyrium und, hierin über die vergleich-
bar langen Gedichte von Prato und Calfurnio hinausgehend, auch den Prozess so-
wie die Entwicklung seines Kultes erzählt. Damit greift Aemilianus eine bereits von
Tiberinus in den Lamentationes realisierte Idee auf, wobei er die Möglichkeiten,
die eine solche Erzählperspektive bietet, noch besser ausnützt als dieser : So er-
zählt Simon z.B. selbst einen Traum, den er bei den Juden hat, und berichtet von
seiner Himmelfahrt. Auffällig sind an dieser Langelegie einige epische Gleichnisse
(z.B. V.
77–80 : Tobias entschließt sich zur Untat, wie eine regenschwangere Wolke
birst), wie sie ja auch in Pratos De immanitate vorkommen. Der Titel soll wohl
die Glaubwürdigkeit des Berichteten unterstreichen ; besonders historiographische
Züge trägt das Gedicht nicht. Ohne Parallele in der restlichen Simonliteratur ist die
Simons Ähnlichkeit mit dem Christuskind unterstreichende Behauptung, dieser sei
vor seinem Martyrium in eine Wiege gelegt worden (V.
115). Hinderbach wird nur
mehr am Rande erwähnt.
Den Schluss bildet ein 52 Verse langes elegisches Pinacedion Beati Simonis pueri
Tridentini, in dem der Knabe direkt angesprochen wird : „Diese Votivtafel hat dir,
Simon, Aemilianus geweiht, weil du ihn von einer Krankheit geheilt hast. Wer
in Todesgefahr schwebt, den holst du ins Leben zurück. Du rettest Matrosen aus
Seenot, heilst Taube, Lahme, Tote, Stumme, Sterbenskranke, treibst Dämonen
aus, rettest Soldaten und Verwundete. Davon zeugen viele Votivtafeln. Jetzt kann
ich deinem Wirken nicht gerecht werden, werde es aber ein andermal tun, wenn
ich mehr Zeit habe.“ Diese Elegie gibt, wie das schon ihr Titel („Votivtäfelchen“
oder „Votivtafelgedicht“) andeutet, entweder den Text einer von Aemilianus tat-
sächlich gespendeten Votivtafel wieder oder fingiert eine solche bzw. ist selbst eine
literarische ‚Votivtafel‘. Sie konzentriert sich wie das zweite Gedicht Zovenzonis
auf Simon als Wundertäter und zeigt, dass Aemilianus für seine Simonpanegyrik
einen persönlichen Beweggrund hatte. Das Gedicht, und mit ihm das Büchlein
als Ganzes, ist nicht mehr Teil von Hinderbachs Propaganda (der Bischof war be-
reits 1486 gestorben), sondern ein Reflex des Simonkultes gegen Ende von dessen
erster, besonders intensiver Phase.
Bei den hs. erhaltenen Gedichten handelt es sich großteils um Abschriften von
Drucken. Die rein hs. Überlieferung umfasst, soweit sie bekannt ist, sieben po-
etische Texte, welche die Verbreitung der Simonslegende in (Ober-)Italien (Bre-
scia, Padua, Venedig, Rom) und Süddeutschland (Ottobeuren, Erlangen, Melk)
dokumentieren (Treue 1996, 340–348). Inhaltlich bzw. formal bemerkenswert sind
davon nur zwei. Der erste stammt von Samuel Karoch von Lichtenberg (ca. 1440–
1500), einem deutschen Humanisten mit einer Vorliebe für mittelalterliche Vers-
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- TYROLIS LATINA
- Subtitle
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Volume
- 1
- Authors
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Editor
- Karlheinz Töchterle
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 602
- Keywords
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Überblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593