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Dichtung 93
humanistisches
und modernes
Dichtungs-
verständnis
Rhythmi veteres
aus Stams
Inhalt,
Textbeispiele
lung bei Hofe erscheint der Beamte, der bezeichnenderweise immer wieder mit
Mäzenas, dem Vorbild aller humanistischen Dichterpatrone, verglichen wird, weit-
gehend auf seine Rolle als Förderer der Poeten reduziert. Deren Tätigkeit wiederum
scheint sich auf die Bedichtung ihres Schirmherren zu beschränken. Für den mo-
dernen Leser ergibt sich so das Bild eines monotonen und ziemlich sinnentleerten
Kreislaufs Panegyrik – Finanzhilfe – Panegyrik usw.
Der Codex Fuchsmagen zeigt, dass das nicht alles ist, wozu diese Poeten imstande
waren. Dass Bonomo gerade in einer gedruckten Veröffentlichung, die weitere Ver-
breitung fand als eine Hs. und dazu dienen sollte, den Geehrten und alle anderen
Beteiligten im besten Lichte zu zeigen, all die Aspekte fortlieĂź, die jenen so span-
nend machen, demonstriert, wie groĂź die Unterschiede zwischen humanistischen
und modernen Vorstellungen davon sind, was das Interesse und den Wert von
Dichtung ausmacht.
Der letzte hier zu besprechende Text ist zwar praktisch zeitgleich mit dieser hö-
fisch-humanistischen Poesie entstanden, stammt aber im Gegensatz zu ihr aus klös-
terlichem Umfeld, wo nach wie vor mittelalterliche Formen gepflegt wurden, und
fĂĽhrt so zu den eingangs besprochenen Beispielen aus Neustift zurĂĽck. Eingelegt in
die Historia Stambsensis des Paul Gay (Stams, D 17, vgl. hier S.Â
493) finden sich auf
der zweiten unpaginierten Seite nach S. 97 Rhythmi veteres de antiquo et moderno
Ordinis Cisterciensis statu („Alte Rhythmen über den ehemaligen und gegenwärti-
gen Zustand des Zisterzienserordens“) aus dem Jahr 1513. Wie schon der wohl von
Gay gesetzte Titel andeutet, bedient sich der anonyme Verfasser, gewiss ein Stamser
Mönch, einer akzentuierenden Strophenform, nämlich der Vagantenstrophe aus
vier gereimten Langzeilen, die sich ihrerseits aus einem katalektischen trochäischen
Tetrameter und einem trochäischen Trimeter zusammensetzen. In 15 solchen Stro-
phen beklagt er die u.a. durch den Aufschwung der Bettelorden verursachte Krise
der Zisterzienser. Dabei bedient er sich einer bildkräftigen Sprache und geht mit
der Konkurrenz im Stil der mittelalterlichen Mönchssatire ins Gericht :
„Einst wurden wir reich beschenkt und waren wohlhabend, jetzt zeigt sich jeder-
mann knauserig. Man schmäht uns unseres Besitzes wegen und will nicht sehen,
wie hart wir arbeiten und wie viele Arme und Gäste wir ernähren (Str. 7) :
Nos sumus in pluribus similes iumento,
Cui dantur paleae excusso frumento.
Sustentamur etenim pane et pulmento
Servato hospitibus lauto nutrimento.
Wir ähneln in sehr vieler Hinsicht dem Vieh, dem man die Spreu gibt, nachdem man das
Getreide ausgedroschen hat. Wir halten uns nämlich mit Brot und Brei bei Kräften, wäh-
rend wir die feinen Speisen unseren Gästen vorbehalten.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- TYROLIS LATINA
- Subtitle
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Volume
- 1
- Authors
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Editor
- Karlheinz Töchterle
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 602
- Keywords
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Ăśberblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593