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160 Von der Tiroler Landeseinheit bis zum Tod Kaiser Maximilians
I. (1519)
Papst und
Gesamtkirche
private Religiosität
Argumentation für
Simons Heiligkeit und des Augustinus, will er seiner Darstellung Gewicht verschaffen. Diese trägt
insgesamt den Charakter einer Disputation, geführt von einem in der scholasti-
schen Methode der dialektischen Gegenüberstellung von Argument und Gegenar-
gument geschulten Verfasser. Dabei lässt sich bereits anhand des Aufbaus ein klares
quantitatives Übergewicht der Argumente für eine Kanonisierung sowie eine hohe
Redundanz bei ihrer Darlegung erkennen. Hingewiesen sei auch auf die begriffli-
che Schärfe, die subtile, für die Argumentation wichtige Differenzierungen zulässt.
Angesichts der insgesamt bereits weit gediehenen Erforschung des Trientner Ju-
denprozesses (Treue 1996) wäre es von geringem Erkenntniswert, den Inhalt von
Balneoregios Abhandlung vollständig wiederzugeben. Aufmerksamkeit verdienen
hingegen jene Aspekte, in denen weiter reichende, für die Zeit charakteristische
Fragestellungen zum Ausdruck kommen.
So stand offenbar auch noch Jahrzehnte nach den Konzilien von Konstanz und
Basel weiterhin die Frage nach der Autorität des Papstes und nach seiner Rolle im
Gesamtgefüge der Kirche im Raum. Dies zeigt sich an der Tatsache, dass Sylvester
großen Wert auf die Anerkennung von Simons Heiligkeit bzw. Verehrungswürdig-
keit durch die gesamte Kirche legt, die im Papst ihr einigendes Band habe, und in
diesem Zusammenhang ausdrücklich vor Spaltungstendenzen warnt.
Damit in Zusammenhang steht eine hohe Sensibilität für das im weiteren Vor-
feld der Reformation ebenfalls im Raum stehende Problem privater Formen von
Religiosität, gegen die Vorbehalte angemeldet werden : So verehrungswürdig Simon
auch sei, es gehe nicht an, dass diese Überzeugung ohne den Konsens der Kirche
nach außen getragen werde. Sylvester kennt die unter den Menschen seiner Zeit ge-
nerell hohe Bereitschaft zur Verehrung von Märtyrern, wünscht jedoch, dass diese
in geordneten Bahnen praktiziert werde. Bemerkenswert ist außerdem sein Anlie-
gen, die Heiligenverehrung in der Glaubenspraxis insgesamt richtig zu verorten,
d.h. sie nicht in Gegensatz zur Verehrung Christi treten zu lassen, sondern sie in
deren Dienst zu stellen. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er die
damals eingetretene Fanatisierung vieler Zeitgenossen, insbesondere der Vertreter
unterer Schichten, mit Unbehagen wahrnahm.
Subtiler theologischer Denkmuster bedient sich der Autor an jenen zahlreichen
Stellen, wo es darum geht, den formalen Anforderungen der Kirche entsprechende
Beweise für die Heiligkeit Simons zu erbringen. Am ehesten lassen sich seine in die-
sem Punkt meist unübersichtlichen und von Argumentationsschwierigkeiten zeu-
genden Ausführungen mit dem Hinweis auf den Unterschied zwischen Märtyrer
und Bekenner systematisieren, der an einer Stelle auch explizit zur Sprache kommt.
Erschwerend wirkt sich hierbei allerdings der Umstand aus, dass dieser Unterschied
im 15. Jh. noch nicht verbindlich definiert war. Im gegenständlichen Fall kam als
weitere, im Gutachten auch hervorgehobene Verschärfung des Problems hinzu, dass
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- TYROLIS LATINA
- Subtitle
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Volume
- 1
- Authors
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Editor
- Karlheinz Töchterle
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 602
- Keywords
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Überblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593